Folter in Ostukraine : Alles gestehen, damit der Schrecken aufhört
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Ein maskierter Separatist eskortiert ukrainische Gefangene zu einem Austausch im Dezember 2019 Bild: EPA
In den „Volksrepubliken“ in der Ostukraine werden Gefangene gefoltert. Viele Opfer müssen Stromstöße und Scheinhinrichtungen über sich ergehen lassen. Meist geht es darum, Geständnisse zu erpressen.
In den mit russischer Unterstützung geschaffenen „Volksrepubliken“ Donezk (DNR) und Luhansk (LNR) in der Ostukraine werden Häftlinge systematisch gefoltert und misshandelt. Das hat ein Bericht des UN-Hochkommissars für Menschenrechte (OHCHR) ergeben, der vorige Woche vorgestellt wurde. Demnach konnten OHCHR-Mitarbeiter 56 der 76 Männer und Frauen befragen, die Ende Dezember bei einem Austausch von Gefangenen mit Kiew aus den „Volksrepubliken“ freikamen. Verhaftete hätten meist keine Möglichkeit, Angehörige oder gar einen Anwalt über ihren Verbleib zu benachrichtigen. Daher liefen die Festnahmen – durch maskierte Uniformierte und ohne Angabe von Gründen – oft auf ein „Verschwindenlassen“ der Personen für längere Zeit hinaus.

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Etwa 80 Prozent der ehemaligen Häftlinge gaben an, geschlagen worden zu sein, rund 60 Prozent berichteten über Folter mit elektrischem Strom. Jeder Dritte berichtete, ihm sei damit gedroht worden, dass seinen Angehörigen etwas zustoßen oder sie vergewaltigt werden könnten. Jeweils etwa 30 Prozent wurden gewürgt, verschiedenen Formen sexueller Gewalt ausgesetzt oder mit dem Tode bedroht, etwa durch Scheinhinrichtungen. Manche der Freigelassenen zeigten den UN-Mitarbeitern körperliche Spuren und sagten, sie seien während der Folter vor Schmerz mehrfach bewusstlos geworden. In einem Anhang zum Bericht werden weitere Praktiken wie das Ausreißen von Fingernägeln und der tagelange Entzug von Nahrung und Wasser geschildert.
Das OHCHR-Dokument bestätigt, was einige der im Dezember Freigelassenen bereits in ukrainischen Medien berichtet hatten. Ein wichtiger Ort des Geschehens ist demnach ein stillgelegter Betrieb an der Switloho-Schljachu-Straße in Donezk, in dem Isoliermaterial hergestellt wurde. 2010 entstand auf dem Gelände eine international beachtete Plattform für Kunstprojekte („Izolyatsia.org“). 2014 besetzten russische und prorussische Kämpfer das Werksgelände. Es wurde zu einem Munitions-, Waren- und Trainingslager der Kämpfer mit angegliedertem Gefängnis.
Ein freigetauschter Häftling sagte dem Kiewer Portal „Ukrainska Pravda“, dort gebe es mindestens acht Zellen, von denen jede bis zu 20 Menschen fassen könne. Ein anderer berichtete über einen Verhörraum: „Man wurde mit Klebeband und Folie an einem besonderen Tisch befestigt. Sie haben Drähte an den Zehen oder Fingern, an den Fersen oder Ohrläppchen angebracht. Am schlimmsten war es, wenn sie am After oder am Geschlechtsteil befestigt wurden oder bei Frauen an den Brüsten.“ Dann wurde der Strom eingeschaltet. „Das halten die Menschen oft nicht aus und verlieren das Bewusstsein. Und alle erzählen sehr schnell, was sie getan haben, und sagen Dinge, die sie nie getan haben, nur damit dieser Schrecken aufhört.“
Die Autorin des „Pravda“-Berichts, Tetjana Katrytschenko, sagte, die Fälle von Folterungen hätten seit 2016 zugenommen und sollten hauptsächlich „Bekenntnisse“ zur Spionage zugunsten der Ukraine erzwingen; sie kenne jedoch unter den 76 Freigelassenen nur einen Fall tatsächlicher geheimdienstlicher Zusammenarbeit.
„Selbstmord ist dort eine ziemlich vernünftige Idee“
Der bekannteste Freigetauschte ist der 30 Jahre alte Journalist Stanislaw Asejew. Er hatte nach der Machtergreifung durch die Kämpfer unter Pseudonym weiter aus seiner Heimatregion in der Ostukraine berichtet, war jedoch 2017 enttarnt und festgenommen worden. Auch er war die meiste Zeit im „Izolyatsia“-Gefängnis inhaftiert. Asejew gelang es, einen Teil seiner Notizen aus dem Gefängnis hinauszuschmuggeln.
Besonders schlimm sei der Fall eines Bergarbeiters gewesen, der zusammen mit seinem Sohn auf dem Foltertisch mit Stromstößen traktiert wurde. Als der Sohn dabei unfreiwillig uriniert habe, hätten die Gefängniswärter zum Vater gesagt: „Schauen Sie sich Ihren Sohn an! Er pinkelt wie ein junger Hund!“ Nichts habe ihn, so der Vater später, tiefer verwundet als dies. Er habe nach dieser Szene einen Selbstmordversuch unternommen und eine Kopfverletzung davongetragen.
Asejew wurde nach eigener Aussage „ziemlich lange“ gefoltert, auch mit Strom. „Wenn man mit sich selbst ehrlich ist, muss man zugeben: Selbstmord ist dort eine ziemlich vernünftige Idee.“ Am Ende habe er „die Papiere unterschrieben, die sie unterschrieben haben wollten“. Dann schaltete sich der russische Staatssender Rossija24 ein: Er schickte ein Fernsehteam nach Donezk. Es interviewte Asejew, der bereit war, eine Zusammenarbeit mit dem Nachrichtendienst der Ukraine zu „gestehen“. Der Häftling wurde blass, kurz geschoren und nervös in seiner Zelle und in einer öffentlichen Bibliothek gezeigt.
Misshandlungen in Ukraine zurückgegangen
Schon im OHCHR-Bericht vom November 2019 waren die Autoren Hinweisen auf Folter nachgegangen. Sie äußerten sich „besorgt“ über Fälle von Personen, die aus Donezk und Luhansk an den russischen Geheimdienst FSB übergeben wurden. Einer von ihnen, 2016 in der Luhansker „Volksrepublik“ festgenommen, wurde demnach an der Grenze dem FSB übergeben und im russischen Morosowsk mit Stromstößen traktiert, mehrfach bis zur Bewusstlosigkeit. 2017 wurde er wegen „Vorbereitung eines Terrorangriffs“ verurteilt und in ein Gefängnis im sibirischen Irkutsk gebracht. Im September 2019 wurde er in die Ukraine entlassen.
Folter und Misshandlungen haben laut OHCHR auch von den ukrainischen Behörden Festgenommene beklagt. Der OHCHR konnte sie schon in ihrer Zeit in ukrainischen Gefängnissen befragen, da er dort laut Bericht „ungehinderten Zugang“ genießt. Er macht vor allem den Geheimdienst SBU für die Praktiken verantwortlich. Allerdings seien Folter und Misshandlungen in den Jahren 2018 und 2019 „erheblich zurückgegangen“. Dagegen hätten DNR und LNR die Arbeit des OHCHR seit 2018 erheblich erschwert.