Lage in der Ukraine : US-Außenminister schließt Verhandlungen über künftige Grenzen der Ukraine nicht aus
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Ukrainische Soldaten auf einem Panzer an der Frontlinie in der Region Donezk Bild: dpa
Laut Beobachtern halte Washington eine vollständige Rückeroberung ukrainischer Gebiete für unwahrscheinlich. Unterdessen hat Selenskyj der EU eine Wunschliste präsentiert. Darauf stehen Kampfflugzeuge, Raketen und baldige EU-Beitrittsgespräche.
US-Außenminister Antony Blinken schließt langfristig Verhandlungen über die künftigen Grenzen der Ukraine nicht aus. Die Entscheidung darüber liege aber bei den Ukrainern, hob er am Donnerstag vor einem Parlamentsausschuss in Washington hervor. Jeder eventuelle Friedensschluss müsse „gerecht und dauerhaft“ sein.
Die Unabhängigkeit und territoriale Integrität der Ukraine müsse gewahrt bleiben, sagte Blinken. „Aber wie diese konkret im Territorium definiert wird, da warten wir, dass die Ukrainer uns das sagen.“ Zugleich fügte der US-Außenminister hinzu: „Ich glaube, dass es Gebiete in der Ukraine gibt, bei denen die Ukrainer entschlossen sind, am Boden darum zu kämpfen. Und eventuell gibt es Gebiete, bei denen sie beschließen, dass sie versuchen wollen, sie auf anderen Wegen wiederzuerlangen.“
Beobachtern zufolge ließ der Chef der US-Diplomatie damit durchblicken, dass Washington eine Rückeroberung aller von Russland besetzten ukrainischen Gebiete – vor allem der Krim – durch Kiews Truppen für nicht wahrscheinlich hält.
Selenskyj fragt EU nach Kampfflugzeugen
Derweil dankte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Polen und der Slowakei für die Entscheidung, Kampfflugzeuge des sowjetischen Typs MiG-29 bereitzustellen, sagte Selenskyj am Donnerstag bei einem EU-Gipfel, zu dem er per Video zugeschaltet war. „Dies wird die Verteidigung unseres Luftraums erheblich stärken. Aber wir brauchen moderne Flugzeuge.“
Die Slowakei hatte am Donnerstag bekanntgegeben, der Ukraine die ersten vier ihrer 13 versprochenen Flugzeuge des sowjetischen Typs MiG-29 übergeben zu haben. Zuvor hatte Polen die Lieferung von Kampfflugzeugen desselben Typs angekündigt. Selenskyj dringt zudem schon lange auf die Lieferung moderner Kampfflugzeuge aus dem Westen.
Selenskyj fragte die Gipfel-Teilnehmer, ob es einen rationalen Grund für die Verzögerung bei der Bereitstellung moderner Flugzeuge gebe. Dabei verwies er auf die russischen Drohungen vor der Lieferung des deutschen Leopard-Kampfpanzers aus der EU. „Und was hat Russland daraufhin getan? Wir alle müssen uns daran gewöhnen, dass ein terroristischer Staat öfter blufft, als er eskalieren kann.“
Selenskyj hob hervor: „Zeit ist wichtig. Nicht nur Monate und Wochen, sondern auch Tage sind wichtig. Je schneller wir gemeinsam handeln, desto mehr Leben können wir retten.“ Er verwies zugleich auf die bisherige Unterstützung aus dem Ausland. „Dies ist ein Beweis dafür, dass Europa seine Werte zu verteidigen weiß und den Mut hat, dem Terror die Stirn zu bieten“, sagte er.
Selenskyj: Leben kehrt in zerstörte Dörfer zurück
Nach einem Besuch in der von ukrainischen Truppen im Herbst weitgehend zurückeroberten Region Cherson im Süden der Ukraine zog Selenskyj ein positives Fazit. „In einigen Orten wurden mehr als 90 Prozent der Gebäude zerstört“, sagte Selenskyj am Donnerstag in seiner allabendlichen Videoansprache. „Aber selbst in solche Dörfer kehren die Menschen zurück, und das ist ein Beweis dafür, dass das Leben immer noch gewinnt.“ Die Ukraine werde ihr Möglichstes tun, „um unsere Territorien wieder aufzubauen“.
Selbst auf den Feldern um Cherson kehre das Leben zurück. „Es ist eine Freude zu sehen, wie die von russischen Minen und Granaten geräumten Felder in der Region Cherson bebaut und wieder zum Leben erweckt werden“, sagte Selenskyj. Allerdings gebe es noch genügend Felder, die vermint seien. „Es gibt noch genug Arbeit für unsere Pioniere und Pyrotechniker.“ Doch er sei zuversichtlich, sagte Selenskyj, dass diese Gebiete von allen tödlichen Hinterlassenschaften Russlands befreit würden. „Die ganze Ukraine wird leben.“
In diesem Zusammenhang richtete Selenskyj einen besonderen Dank an Finnland. Die Regierung in Helsinki hatte am Donnerstag beschlossen, der Ukraine drei Leopard-Minenräumpanzer zu übergeben.
Kiew: Russen starten „Säuberungsaktion“ im Gebiet Cherson
Russische Truppen und Sicherheitsdienste begannen nach Erkenntnissen des ukrainischen Generalstabs mit sogenannten Säuberungsaktionen unter der Bevölkerung des von ihnen kontrollierten Dnipro-Ufers in der südukrainischen Region Cherson. Dort habe in verschiedenen Siedlungen die Suche nach Bürgern mit proukrainischer Einstellung, Militärrentnern und Mitarbeitern ukrainischer Strafverfolgungsbehörden eingesetzt, teilte der Generalstab in Kiew am Donnerstag in seinem täglichen Lagebericht auf Facebook mit.
In der Siedlung Nowa Kachowka dagegen sei eine großangelegte Razzia erfolgt. Dabei seien bei der Zivilbevölkerung große Mengen an Haushaltsgeräten, Schmuck und Mobiltelefonen „konfisziert“ worden. Die Angaben konnten nicht unabhängig geprüft werden.
Bei einer ukrainischen Offensive im Herbst hatten sich die russischen Militärs bei Cherson vom Westufer des Dnipro zurückgezogen. Seitdem haben russische Truppen ihre Verteidigungslinien am Südufer des Stroms massiv ausgebaut.
Russischer Raketenangriff auf Odessa
Die russische Luftwaffe beschoss am Donnerstagabend die südukrainische Hafenstadt Odessa mit mehreren Raketen. Nach ersten Berichten des ukrainischen Militärs wurden zwei Raketen von der Flugabwehr abgefangen. Weitere Angaben lagen zunächst nicht vor. Schon am Vortag war Odessa mit mehreren Raketen angegriffen worden.
Was am Freitag wichtig wird
Auch am Freitag sind neue Gefechte um die seit Monaten schwer umkämpfte Stadt Bachmut im Osten der Ukraine zu erwarten. Ukrainische Militärs wollen ein Nachlassen der russischen Kampfkraft erkannt haben.