Deportation durch Russland : Ukraine spricht von mehr als 300 heimgeholten Kindern
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Ein Kind schaut aus dem Fenster eines Busses in der Region Cherson (Symbolbild) Bild: Reuters
Russland setzt als Kriegstaktik auch auf Umerziehung und Zwangsadoptionen. Einige Verschleppte sollen nun heimgeholt worden sein.
Die Ukraine hat nach eigenen Angaben 308 Kinder aus russisch kontrollierten Gebieten zurückgeholt. Das teilte Kiews Menschenrechtsbeauftragter, Dmytro Lubinets, am Montagnachmittag auf Telegram mit. Dazu postete er zwei Fotos, die den acht Jahre alten Saschka mit dessen Großmutter in Lubinets Büro zeigen. „Ende Februar erhielt das Büro des Menschenrechtskommissars eine Anfrage bezüglich der Rückkehr eines Kindes, das sich in dem vorübergehend von Russland besetzten Gebiet befand“, schrieb der Beauftragte. Wie genau Saschka in die Ukraine zurückgeholt wurde, blieb unklar. Bekannt ist, dass es ein Netz von Freiwilligen in Russland gibt, die dabei helfen, ukrainische Kinder heimzuholen.
Die ukrainischen Behörden schätzen, dass seit Beginn der Invasion im Februar vergangenen Jahres mehr als 16.000 Kinder aus Waisenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Internaten verschleppt worden sind. In Russland werden sie in Pflegefamilien gesteckt und zur Adoption freigegeben. Laut einer Studie der Universität Yale sollen etwa 6000 ukrainische Kinder in Umerziehungslager geschickt worden sein. Die Schätzungen, wie viele Kinder aus der Ukraine entführt worden sind, variieren. Manche Menschenrechtsorganisationen gehen von Hunderttausenden aus, die zum Großteil nun mit ihren Eltern in Russland sind.
Das ukrainische Regional Center for Human Rights geht zudem von etwa zehntausend Kindern aus, die sich in Ferienlagern auf der Krim und in Belarus befanden, als die ukrainische Armee im Herbst Cherson und andere Orte im Südosten von den Russen zurückeroberte. Plötzlich fanden sich Eltern und Kinder auf verschiedenen Seiten der Front wieder. Auch diese Kinder wurden nach Russland gebracht, unter anderem in ein Lager in Anapa am Schwarzen Meer.
Deportation von Kindern ist ein Kriegsverbrechen
Politisch verantwortlich für die Umerziehung und Zwangsadoption ukrainischer Kinder ist in erster Linie Wladimir Putins Kommissarin für Kinderrechte, Maria Lwowa-Belowa. Nach ihrer Lesart werden die Kinder nicht entführt, sondern in Sicherheit gebracht. Im Herbst zeigten russische Fernsehsender, wie ein Flugzeug voller Kinder in Moskau ankommt. Lwowa-Belowa behauptet, sie hätten „lange Zeit“ in „Waisenhäusern“ gelebt. Nun kommen auch sie in Adoptivfamilien. Ob die Kinder tatsächlich Waisen sind, kann niemand überprüfen. Die 38 Jahre alte Politikerin hat selbst schon ein ukrainisches Kind adoptiert. Der 16 Jahre alte Philipp aus Mariupol war zu jenem Zeitpunkt offiziell noch ukrainischer Staatsbürger.
Schwere Vorwürfe gibt es indes auch gegen zwei SOS-Kinderdörfer in Russland. Wie der Dachverband am Freitag mitteilte, wurde der russische Landesverein suspendiert, und finanzielle Mittel wurden eingefroren. Er hatte bei der Regierung in Moskau einen Antrag auf Fördergeld gestellt, das für ukrainische Kinder aus den besetzten Gebieten eingesetzt wurde. Zudem hatte der Vorstandsvorsitzende von SOS-Kinderdorf Russland prorussische Propaganda verbreitet, unter anderem in einer Zeitschrift für Kinder und Jugendliche, die er herausgibt.
Zuvor hatte das ZDF von mehreren ukrainischen Kindern berichtet, die in die Siedlung Tomilino nahe Moskau gebracht worden waren; sie gehört seit 1990 zu den SOS-Kinderdörfern. Aufnahmen zeigen, wie Lwowa-Belowa das Dorf besucht und die Regierungspartei „Einiges Russland“ Veranstaltungen dort abhält.
Nach Einschätzung der Vereinten Nationen handelt es sich bei der Deportation von Kindern um ein Kriegsverbrechen, zumal es wohl darum gehe, sie zu russifizieren.