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„Kaum noch intakte Wände“ : Wie bedrohlich sind die russischen Fortschritte bei Bachmut für die Ukraine?

Ukrainische Soldaten versorgen einen Verwundeten in einem Unterstand in Soledar Bild: dpa

Die ukrainischen Verteidiger müssen dem russischen Druck im Zentraldonbass stellenweise nachgeben. Strategisch helfen sie vor allem einem Mann.

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          Die ukrainischen Streitkräfte stehen im Zentraldonbass angesichts von zahlreichen russischen Angriffen im Raum Bachmut seit Tagen unter Druck. Wie stark, dafür machte sich Wolodymyr Selenskyj selbst in der Nacht zu Dienstag zum Gradmesser. „Es ist sehr schwer: Es sind dort kaum noch intakte Wände übrig“, sagte der ukrainische Präsident in einer Videobotschaft mit Blick auf die Lage in Soledar.

          Lorenz Hemicker
          Redakteur beim Chef vom Dienst.

          Auch das britische Verteidigungsministerium attestiert den Russen Fortschritte in der Stadt im Donezker Gebiet, die früher rund 11.000 Einwohner zählte. Reguläre russische Truppen und Söldner der Wagnergruppe hätten in den vergangenen vier Tagen „taktische Vorstöße“ unternommen und würden mittlerweile vermutlich den größten Teil von Soledar kontrollieren.

          Die Geländegewinne sind klein, aber Soledar ist nicht irgendeine Stadt. Sie befindet sich rund zehn Kilometer nordöstlich von Bachmut, der Stadt also, um die Ukrainer und Russen seit Monaten in einer an den Ersten Weltkrieg erinnernden Grabenschlacht unter hohen Verlusten kämpfen. Bachmut und Soledar wiederum sind Teil des Verteidigungswalls vor Slowjansk und Kramatorsk, den beiden wichtigsten ukrainisch kontrollierten Großstädten im Donbass, dessen vollständige Eroberung für die russische Seite Priorität hat.

          Die Hoffnung auf der russischen Seite, die Schlacht um Bachmut nach Monaten verlustreicher Angriffe für sich zu entscheiden, ist angesichts der jüngsten Erfolge nun offenbar gewachsen. Das amerikanische Institut für Kriegsstudien (ISW) verwies in seinem jüngsten Briefing auf viele Quellen, die eine Einkesselung der Stadt nun für möglich hielten. Den Optimismus der Angreifer teilt das britische Verteidigungsministerium indes nicht. Es hält ein solches Szenario trotz der jüngsten Erfolge weiterhin für unwahrscheinlich. Die Verteidigungsstellungen der Ukrainer seien stabil, und sie würden auch weiterhin die Versorgungswege kontrollieren.

          Der amerikanische Kriegsforscher Michael Kofman geht zudem davon aus, dass selbst ein Verlust von Bachmut für die russische Seite keinen Durchbruch bedeuten würde. „Bachmut bietet nicht viel“, sagte Kofman vergangenen Donnerstag im Podcast „War on the rocks“. „Taktisch mag sie relevant erscheinen, aber strategisch ist sie eine Brücke ins Nichts.“ Kofman verwies auf die schlechte Materiallage der russischen Seite und auf die ukrainischen Rückeroberungen in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres, durch die die Gefahr einer russischen Zangenbewegung auf Slowjansk und Kramatorsk gebannt wurde.

          Strategisch für sich zu nutzen sucht die Geländegewinne zumindest Jewgenij Prigoschin. Der Wagner-Finanzier reklamierte die Geländegewinne in Soledar am Montag ausschließlich für seine Söldner. Das ISW geht davon aus, dass er mit tatsächlichen und erfundenen Erfolgen versuchen wird, seine Gruppe als die einzige zu verkaufen, die greifbare Erfolge in der Ukraine für sich verbuchen kann.

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