Kriegsbeginn nächste Woche? : Russische Truppen gehen in Position
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Russische Truppen im Februar nahe Kursk Bild: EPA
Russland verlegt immer mehr Kampftruppen direkt an die Grenze zur Ukraine. Fast 100 Bataillonskampfgruppen sollen es schon sein. Sie könnten jederzeit einmarschieren.
Wann beginnt der russische Einmarsch in der Ukraine? Es könnte schon in der nächsten Woche so weit sein, warnte der amerikanische Präsident Joe Biden seine wichtigsten Verbündeten am Freitagabend in einer Videokonferenz. Wie mehrere Medien berichteten und der F.A.Z. aus Teilnehmerkreisen bestätigt wurde, soll Biden den 16. Februar als möglichen Termin genannt haben, also Mittwoch. Öffentlich wollte sich der Nationale Sicherheitsberater des Präsidenten nicht auf ein spezifisches Datum festlegen lassen, doch gebe es, wie Jake Sullivan sagte, „die glaubwürdige Aussicht, dass eine militärische Aktion vor dem Ende der Olympischen Spiele stattfinden könnte“. Deren Abschlussfeier ist am kommenden Sonntag, am 20. Februar.
Offenbar haben die Amerikaner interne Kommunikation der Russen abgefangen, die Bidens Warnung zugrunde liegt. Überprüfen lässt sich das naturgemäß nicht, wohl aber die militärische Entwicklung am Boden. Der unabhängige polnische Militäranalytiker Konrad Muzyka, der den Aufmarsch seit Wochen genau verfolgt, veröffentlichte am Sonntag seine letzte Zählung. Demnach verfügt Russland nun über 93 taktische Bataillonskampfgruppen nahe der Grenze zur Ukraine. In westlichen Sicherheitskreisen war am Wochenende von „fast hundert“ dieser verstärkten Infanterie- und Panzerbataillone die Rede – mit dem Zusatz, weitere seien unterwegs. Insgesamt sind nun mehr als 140.000 Heeressoldaten in Stellung, in der Region befinden sich zudem mindestens 20.000 weitere Kräfte von Marine und Luftwaffe. „Russland könnte sich in sehr kurzer Zeit entscheiden, eine große militärische Aktion gegen die Ukraine zu unternehmen“, sagte Sullivan.
Bis auf zwanzig Kilometer
Darauf weist nicht nur die schiere Zahl der Soldaten hin, sondern auch, dass sie immer näher an die Grenze heranverlegt werden. Militärs sprechen von den „staging positions“, den Ausgangspositionen für einen Einmarsch. Das wurde vor zehn Tagen zuerst in Jelnja beobachtet. Dort hatte die 41. Kombinierte Waffenarmee aus Sibirien seit Ende Oktober Hunderte gepanzerte Fahrzeuge und Geschütze zusammengezogen – was ein Hauptgrund war, warum die CIA seinerzeit Alarm schlug. Jelnja liegt 300 Kilometer nördlich der ukrainischen Grenze, nicht weit von Belarus entfernt.
Aufnahmen zeigen, wie Panzer dieser Armee auf dem Bahnhof von Brjansk ankommen, auf halber Strecke zur Grenze. Auf weiteren Videos ist zu sehen, wie sie auf Tiefladern Richtung Klinzy gebracht werden, das noch näher an der Ukraine liegt und wo schon vorher Einheiten stationiert wurden. Da Jelnja in den vergangenen Tagen unter einer Wolkendecke lag, gibt es derzeit keine kommerziellen Bilder von dort. Doch ist auf speziellen Radaraufnahmen zu erkennen, dass sich der Stützpunkt weitgehend geleert hat.
Auch an anderen Grenzabschnitten werden Truppen näher an die Grenze herangebracht, bis auf zwanzig Kilometer. Am Wochenende tauchten Videos auf, die lange Konvois von Kursk nach Belgorod zeigen. Diese Stadt liegt nur achtzig Kilometer von Charkiw entfernt, der zweitgrößten ukrainischen Stadt. Darunter waren Abschussbatterien für das ballistische Kurzstreckensystem Iskander-M, die schwersten russischen Haubitzen und Mörser der Typen Malka und Tjulpan sowie T80-Kampfpanzer. Gesichtet wurden außerdem viele Hubschrauber der Luftlandetruppen. Auch aus Woronesch im Nordosten und aus Persianovka im Südosten gibt es solche Verlegungen an die Grenze.
An der belarussischen Grenze und im Süden, auf der annektierten Krim, haben russische Truppen von Anfang an mögliche Angriffspositionen bezogen. Auf Satellitenbildern ist zu sehen, dass diese Feldlager in den vergangenen Wochen massiv ausgebaut worden sind. Hier wie dort wurden auf Flugplätzen zwei Feldlazarette errichtet, in dem verwundete Soldaten behandelt werden können. Ende Januar sollen die entsprechenden Sanitätseinheiten mit Blutkonserven versorgt worden sein. Das gehört alles dazu, wenn ein Angriff bevorsteht.
Für einen Kriegsbeginn in der kommenden Woche spricht nicht zuletzt die Terminierung der sogenannten russischen Manöver. Bis zum 20. Februar läuft noch die Großübung mit den belarussischen Streitkräften, aus der heraus ein Angriff erfolgen könnte, wie NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg gewarnt hat. Diese Einheiten befinden sich in höchster Einsatzbereitschaft. Im Schwarzen Meer hat Russland bis zum 19. Februar „Schießübungen“ entlang der ukrainischen Küste angekündigt. Das könnte der Vorlauf zu einer Landungsoperation im Bereich von Odessa sein. Ebenfalls für kommende Woche wird die vorgezogene Jahresübung der russischen Nukleartruppen erwartet, bei der ballistische Raketen und Marschflugkörper abgeschossen werden, auch von U-Booten aus. Mit dieser Drohkulisse würde Moskau die NATO davon abschrecken, in den Konflikt einzugreifen.