Angriff auf die Ukraine : Der Weg nach Moskau führt über Peking
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Wladimir Putin und Xi Jinping Anfang Februar in Peking Bild: dpa
Nur zusammen mit China kann Russland erfolgreich isoliert werden. Deshalb muss die Bundesregierung alles daran setzen, mit Peking ins Gespräch zu kommen. Ein Gastbeitrag.
Der russische Angriff auf die Ukraine ist voll im Gange. Wladimir Putins Entscheidung, militärische Mittel zu nutzen, um seine Interessen durchzusetzen, hat den Frieden in Europa zerstört. Es zeichnet sich ab, dass die Ziele des russischen Präsidenten nicht auf die Ukraine beschränkt sind. Russland hat Finnland – und bereits im Dezember 2021 Schweden – im Falle eines NATO-Beitritts mit schwerwiegenden militärischen und politischen Konsequenzen gedroht.
Die Situation ist ernst. Spätestens jetzt muss die deutsche Bundesregierung alle diplomatischen Mittel einsetzen. Dies schließt auch einen Akteur ein, den die deutsche Diplomatie bisher vernachlässigt hat: China.
Der strategische Zusammenhang liegt auf der Hand. Nur zusammen mit Peking kann Putin erfolgreich isoliert werden. Wie das Telefonat zwischen Xi Jinping und Putin vom 25. Februar offenbart hat, gibt es einen direkten Draht zwischen Peking und Moskau, der vom Kanzleramt nicht länger ignoriert werden kann. Dabei ist für den Austausch mit Peking zu diesem Zeitpunkt – so bitter es für manche klingen mag – nicht zentral, dass die chinesische Führung den russischen Angriff auf die Ukraine offen verurteilt, sondern dass Peking deutlich vermittelt wird, was Deutschland und Europa von Xi erwarten.
Berlin musste erst umdenken
Offenbar musste auch Berlin erst einmal umdenken, um in dieser Situation mit Blick auf China strategisch zu agieren. Denn die Auseinandersetzung mit Xis China ist nicht einfach. Die Liste der Gründe, Chinas Rolle skeptisch zu sehen, ist lang. So hat die US-Regierung noch im Vorfeld der russischen Invasion erfolglos versucht, Chinas Führung davon zu überzeugen, den Krieg abzuwenden. Warum also mit China reden und mit welchem Ziel?
Zunächst geht es schlicht um eine bessere Informationslage. In Stellungnahmen wiederholt die chinesische Staats- und Parteiführung immer wieder drei Aspekte: China nehme die Sicherheitsbedenken aller Länder – inklusive der Russlands – ernst; Amerika verhalte sich wie ein Kriegstreiber; die nationale Souveränität und territoriale Integrität aller Länder – inklusive der Ukraine – müsse gewahrt werden. Außerdem wird ausdrücklich betont, dass die Ukraine nicht mit Taiwan zu vergleichen sei.
Peking scheint sich gegenwärtig in einer mahnenden Neutralität gegenüber allen Parteien einrichten zu wollen. Laut chinesischen Medien hat Xi im persönlichen Gespräch gegenüber Putin zwar Verständnis für russische Sicherheitsinteressen geäußert, aber auch die Zentralität nationaler Souveränität und territorialer Integrität hervorgehoben. Unmittelbar danach äußerte Putin erstmals seine Bereitschaft zu einem Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.
Peking ist nicht fest an Moskau gebunden
Es ist ein Fehler anzunehmen, China sei durch eine Art Nibelungentreue an Russland gebunden. Bei der Abstimmung über eine Resolution gegen Russland im Weltsicherheitsrat hat sich China enthalten. Die Begründung des chinesischen UN-Botschafters Zhang Jun legt nahe, dass Peking Russlands militärische Aktionen nicht unterstützt. Chinas Außenminister Wang Yi bekräftigte, „die jetzige Situation sei nicht das, was (China) sehen will“, und betonte immer wieder die Beilegung des Konflikts mit friedlichen Mitteln.
Trotz der engen strategischen Abstimmung zwischen Putin und Xi ist offen, inwiefern China Russland über bereits beschlossene Zusagen hinaus wirtschaftlich unterstützen wird. Aber auch ohne die Unterstützung internationaler Sanktionen könnte China wirksame Maßnahmen gegenüber Russland ergreifen und zum Beispiel den neuen Erdgas-Deal aussetzen. Tatsächlich haben einige chinesische Staatsbanken damit begonnen, die Finanzierung von Energieimporten aus Russland einzuschränken.
Nicht zu unterschätzen ist, dass Russlands Angriff auf die Ukraine auch für China enorme wirtschaftliche Kosten haben wird. Er erschüttert nicht nur die Börsen weltweit, sondern führt zu Engpässen bei Lieferketten, der Verteuerung der Luftfracht und einer weiteren Aufheizung der Inflation weltweit. Durch den Konflikt steht auch Chinas Seidenstraßenprojekt auf dem Spiel. Ferner liegt es nicht im Interesse der chinesischen Führung, dass die EU langfristig destabilisiert wird. Dies hätte empfindliche Auswirkungen auf den ohnehin fragilen post-pandemischen Wirtschaftsaufschwung.
Ohne direkten Austausch mit Peking kann jedoch niemand wissen, welche Möglichkeiten sich aus der chinesischen Position für Europa ergeben könnten. Daher ist der Zeitpunkt gekommen, sich ausführlich und direkt mit Peking auszutauschen. Das Telefonat zwischen Außenministerin Annalena Baerbock und ihrem chinesischen Amtskollegen Wang ist daher nur ein erster Schritt.
Deutschland hat einen Hebel gegenüber China
In weiteren Gesprächen sollte die deutsche Bundesregierung Peking auffordern, die europäische Haltung gegenüber Russland zu unterstützen. Es geht letztlich darum, zu vermitteln, dass Chinas Neutralität unmittelbar die nationale Souveränität der Ukraine gefährdet. Die chinesische Regierung sollte, wie eine Gruppe von chinesischen Professoren hervorhob, ihre Sicherheitszusagen an die Ukraine aus dem Jahr 1994 ernst nehmen. Deutschland könnte in Peking auch dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba den Rücken stärken, der in einem Telefonat mit seinem chinesischen Amtskollegen kürzlich betonte, dass China eine Vermittlerrolle einnehmen könne, um einen Waffenstillstand herbeizuführen. Weiterhin sollte die Bundesregierung Russlands wirtschaftliche Isolation als Ziel formulieren und betonen, welche wichtige Rolle China für den Erfolg dieser Strategie spielt.
Gerade aufgrund seiner Wirtschaftsbeziehungen sollte Deutschland seine politische Hebelwirkung gegenüber China nicht unterschätzen. Die Entscheidung, das Genehmigungsverfahren für Nord Stream 2 vorerst zu stoppen und der Sperrung russischer Banken in SWIFT zuzustimmen, verstärkt die Glaubwürdigkeit der deutschen Bundesregierung. Diese Entscheidungen widerlegen Pekings Annahme, dass Deutschland seine Wirtschaftsbeziehungen auch nach dem Regierungswechsel in den Vordergrund stellen und keine ernsthaften wirtschaftlichen Verluste in Kauf nehmen würde. Auch die anlaufende militärische Unterstützung für die Ukraine dürfte Eindruck in Peking hinterlassen.
Peking wird seinen Einfluss auf Putin nicht ohne Gegenleistungen der Europäer geltend machen. Aber je früher die Kosten bekannt sind, desto besser. So besteht die Möglichkeit, sich innerhalb der Bundesregierung und mit den europäischen Partnern zu koordinieren, um zu eruieren, was den Chinesen tatsächlich angeboten werden kann. Schließlich muss im Zeitalter einer multipolaren Weltordnung und eines eskalierenden Kriegs mitten in Europa Krisenpolitik oftmals kühn und kühl über Bande gespielt werden.