Ukrainekrieg : Kommt Russlands Offensive in Bachmut zum Stehen?
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Ein ukrainischer Soldat der 28. Brigade an einem Frontabschnitt nahe Bachmut Bild: AP
Die Militärführung in Kiew und der britische Geheimdienst melden, dass die ukrainischen Verteidiger die Lage in Bachmut stabilisieren. Für Russland könnten sich die geringen Geländegewinne als Pyrrhussieg herausstellen.
Die Verteidiger der schwer umkämpften Stadt Bachmut im Osten der Ukraine haben nach Angaben des Oberbefehlshabers der ukrainischen Armee, Walerij Saluschnyj, ihre Positionen gefestigt. „Dank der titanischen Anstrengungen der Defensivkräfte gelingt es, die Lage zu stabilisieren“, teilte Saluschnyj im Anschluss an ein Telefonat mit seinem britischen Amtskollegen Tony Radakin in der Nacht zum Samstag auf seinem Facebook-Account mit. Das Teilstück um Bachmut zähle aber nach wie vor zu den schwierigsten Frontabschnitten.
Auch die britischen Geheimdienste gehen inzwischen davon aus, dass die russische Offensive in Bachmut weitgehend zum Erliegen gekommen ist. „Dies ist vermutlich vor allem ein Ergebnis der erheblichen Verluste der russischen Kräfte“, teilte das britische Verteidigungsministerium am Samstag mit. „Die Situation der Russen hat sich wahrscheinlich auch durch die Spannungen zwischen dem russischen Verteidigungsministerium und der Wagner-Gruppe verschlechtert, die beide Einheiten an diesem Frontabschnitt bereitstellen.“ Auch die Ukraine habe im monatelangen Kampf um Bachmut schwere Verluste erlitten, wurde in London betont.
Russland habe seinen Fokus nun eher auf die weiter südlich gelegene Stadt Awdijiwka und auf den Frontabschnitt bei Kreminna und Swatowe nördlich von Bachmut gerichtet. Dort wollten die Russen die Frontlinie stabilisieren, hieß es weiter. Dies deute darauf hin, dass die russischen Truppen sich allgemein wieder defensiver aufstellen würden, nachdem seit Januar Versuche einer Großoffensive keine „schlüssigen Ergebnisse“ hervorgebracht hätten.
Westliche Militärbeobachter weisen schon seit einiger Zeit darauf hin, dass Russland geschwächt aus seiner Winteroffensive hervorgehen könnte. Vor allem in Bachmut, aber auch an vielen anderen Frontabschnitten mussten Moskaus Truppen einen hohen Blutzoll für marginale Geländegewinne zahlen, da die Verteidiger meist aus besser gesicherten Stellungen heraus operieren und statistisch deutlich geringere Verluste erleiden als die Angreifer.
Schon im vergangenen Sommer hatte sich die Eroberung der Industriestädte Sewerodonezk und Lyssytschansk für den Kreml als Pyrrhussieg herausgestellt. Die Invasionstruppen waren nach den monatelangen Offensivschlachten so geschwächt, dass sie den ukrainischen Gegenoffensiven einige Wochen später kaum etwas entgegensetzen konnten. Russland verlor damals im Herbst in den Gebieten Charkiw und Cherson deutlich mehr Terrain als es in den Sommermonaten unter schweren Verlusten erobert hatte.
Der Befehlshaber der ukrainischen Landstreitkräfte, Olexander Syrsykj, kündigte an, dass die Gegenoffensive zeitnah beginnen solle und verwies dabei ebenfalls auf die strategischen Parallelen zum vergangenen Sommer. „Wir werden recht bald diese Gelegenheit nutzen, wie wir es seinerzeit bei Kiew, Charkiw, Balaklija und Kupjansk gemacht haben“, schrieb er diese Woche im Nachrichtenkanal Telegram. Syrskyj lobte den Mut und die Beharrlichkeit seiner Soldaten.
Selenskyj zurückhaltend
Dennoch bezeichnete Wolodymyr Selenskyj die militärische Lage im umkämpften Osten als „nicht gut“. Grund sei der „Mangel an Munition“, sagte der ukrainische Präsident in einem am Samstag erschienenen Interview mit der japanischen Tageszeitung „Yomiuri Shimbun“. Selenskyj äußerte sich auch zurückhaltend über den Start einer möglichen Gegenoffensive: „Wir können noch nicht beginnen“, sagte er. Ohne Panzer und Artillerie könne man „keine tapferen Soldaten“ an die Front schicken.
Die Ukraine wartet derzeit darauf, dass die übrigen vom Westen zugesagten Kampfpanzer ins Land geliefert werden, die für eine Gegenoffensive von großem strategischen Wert wären. Bislang kamen nur geringe Stückzahlen ins Land. Auch ist die Ausbildung der ukrainischen Soldaten an dem neuen Gerät noch nicht abgeschlossen. Selenskyj machte in der Zeitung „Yomiuri Shimbun“ auch auf den ernsten Mangel an Munition aufmerksam. „Wir warten darauf, dass Munition von unseren Partnern eintrifft“, sagte er und fügte hinzu, das russische Militär feuere jeden Tag dreimal mehr Munition ab als die ukrainischen Streitkräfte.
Die Gefechte um Bachmut laufen seit einem halben Jahr. Auf russischer Seite kämpfen vor allem Söldner der Einheit Wagner in dem Raum. Die russischen Angreifer haben die Stadt inzwischen von drei Seiten - Norden, Osten und Süden - umfasst und versuchen, die letzten Nachschubwege der ukrainischen Garnison gen Westen zu durchtrennen. Zuletzt konnten sie aber kaum noch Fortschritte erzielen. Für beide Kriegsparteien hat die Eroberung beziehungsweise Verteidigung von Bachmut inzwischen symbolischen Charakter. Die Stadt, in der vor Kriegsbeginn gut 70 000 Menschen lebten, ist durch die Kämpfe fast vollständig zerstört worden. Nach offiziellen ukrainischen Angaben leben derzeit nur noch rund 4000 Zivilisten dort.