Ukraine : Kiewer Wahlkampf in Wien
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Morddrohungen gegen Ärzte
Und einen Tag bevor Juschtschenko am 30. September zur Behandlung seiner wieder massiven Schmerzen abermals nach Wien kam, gab Wicke eine Pressekonferenz, in der er darauf aufmerksam machte, daß nicht im Rudolfinerhaus angestellte Personen - gemeint war Korpan - „medizinisch verfälschte Diagnosen über den Gesundheitszustand von Herrn Juschtschenko“ verbreitet hätten. Denn man habe keine Hinweise auf eine Vergiftung gefunden. Mit „Vermutungsdiagnosen“, die politisch verwertet werden könnten, wollte Wicke sein verschwiegenes Haus, in dem er seit 25 Jahren tätig ist, nicht in Zusammenhang bringen.
Danach wurde Wicke von Juschtschenkos Leuten bedeutet, er solle über die Causa lieber nichts mehr sagen, denn sonst würden „andere Mittel gegen mich und das Haus ergriffen“. Auch Morddrohungen habe er damals erhalten.
Akten beschlagnahmt
Worauf sich der ärztliche Leiter an die Polizei wandte und fortan von drei zivilen Leuten der Wiener Alarmtruppe „Wega“ beschützt wurde. Vier Tage nach seiner Pressekonferenz war Wicke auch von seinem Kollegen Zimpfer, dem Klinikpräsidenten, zum Widerruf seiner Aussage, daß es keine Vergiftungshinweise gebe, gebeten worden. Er paraphierte das Papier nur mit „Zur Kenntnis genommen“, machte aber an diesem 3. Oktober eine Aktennotiz: Zimpfer habe gesagt, wenn er die Erklärung nicht widerriefe, „werden die Leute des Dr. Juschtschenko nicht befriedigt sein und andere Maßnahmen setzen“.
Inzwischen gab es in Kiew auch eine parlamentarische Untersuchungskommission, deren nach Wien entsandte Mitglieder an die Republik Österreich ein Rechtshilfeansuchen stellten, um an die Krankenberichte zu kommen. Weil das Landesgericht Wien bei Juschtschenko keine Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht erwirken konnte, wurde die Krankenakte aufgrund eines Paragraphen im Ärztegesetz schließlich im Oktober von Kriminalbeamten beschlagnahmt - „wobei es beinahe zu einem Handgemenge mit den Begleitern Juschtschenkos gekommen wäre“, beschrieb der „Profil“-Journalist die angespannte Atmosphäre in der Verwaltungsdirektion des Rudolfinerhauses.
„Schmutzige Geschichte“
Daß der ärztliche Direktor Lothar Wicke einen Tag bevor Juschtschenko zum dritten Mal in das Rudolfinerhaus kam, mit der Begründung „Arbeitsüberlastung“ seinen Rücktritt erklärte, ist für Kenner auch kein Zufall. Der Präsident des Rudolfinerhauses, Michael Zimpfer, der Juschtschenko beim zweiten Heimflug am 10. Oktober mit einem Ärzteteam nach Kiew begleitet und dort den Jubel miterlebt hatte und der nun schon seit einer Woche in allen Medien als ärztlicher Leiter des Rudolfinerspitals auftritt, sagte am Samstag, es gebe keinen Ärztekrieg, und wenn Wicke wolle, könne er „gern bleiben“.
Den Journalisten Emil Bobi erinnern die Vorfälle im Wiener Krankenhaus inzwischen an Arafats Sterben in Paris. Für ihn hat der Patient Juschtschenko „den ukrainischen Wahlkampf nach Wien importiert“. Auch der behandelnde Arzt Nikolai Korpan ist sich der „weltpolitischen Verantwortung“, die den medizinischen Befunden zukommt, voll bewußt, wie er dieser Zeitung sagte.
Warum man erst jetzt, drei Monate nach der Vergiftung, daranging, die Dioxin-Vermutungen zu überprüfen? „Gute Frage“, sagt der Chirurg, es sei eben ein schwieriger Krankheitsverlauf gewesen, und der Patient sei ja erst vier Tage nach Auftreten der Symptome nach Wien gekommen. Gegen das Nachrichtenmagazin „Profil“ hat er geklagt, wegen der „ganzen schmutzigen Geschichte“.
In dieser Geschichte stand auch, daß die Wiener Ärztekammer ein Verfahren gegen ihn wegen Anmaßung eines Titels eingeleitet habe; Korpan dürfe den an einer ukrainischen Universität erworbenen „Univ.-Prof.“ in Österreich nicht seinem Namen voranstellen.
Auch sei es nicht richtig, daß er mit der Familie Juschtschenko schon vor dessen Wiener Spitalsaufenthalten bekannt gewesen sei: „Leider nicht! Aber ich habe nun eine tolle Persönlichkeit kennengelernt.“ Die Gerichtsverhandlung Korpan gegen „Profil“ findet am Dienstag statt; auch Emil Bobi ist sich seiner Beweislage sicher.