Ukraine : Inszenierung eines Missverständnisses
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Nico Lange ist der Büroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in der Ukraine Bild: Konrad-Adenauer-Stiftung
Nico Lange, Büroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in der Ukraine, wurde unversehens auf dem Kiewer Flughafen Boryspil verhaftet. Die „Affäre Lange“ führte bis ganz nach oben: ins Kanzleramt und zum Kanzleichef des ukrainischen Präsidenten Janukowitsch. Man einigte sich auf ein „Missverständnis“.
Im Laufe des Abends war die Lage immer ernster geworden. Es war der 26. Juni, und auf dem Kiewer Flughafen Boryspil hatte die Grenzpolizei gerade den Vertreter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in der Ukraine, Nico Lange abgeführt. Lange ist ein profilierter Kritiker der neuen ukrainischen Führung unter dem russlandfreundlichen Präsidenten Janukowitsch. Er hatte in mehreren Publikationen geschrieben, unter der neuen Macht gerate die Demokratie in Gefahr.
Zusätzlich hatte er versucht, die zersplitterte westlich orientierte Opposition an einen Tisch zu bringen - eine für die Konrad-Adenauer-Stiftung natürliche Aufgabe, da mehrere Parteien dieses Spektrums, etwa die Gruppierungen der früheren „orangefarbenen“ Revolutionsführer Julija Timoschenko und Viktor Juschtschenko, der Europäischen Volkspartei (EVP), zu der auch die deutschen Unionsparteien gehören, als Beobachter verbunden sind.
Direkter Befehl vom ukrainischen Geheimdienst SBU
Lange war an diesem Nachmittag, von Paris eingereist. An der Passkontrolle forderte man ihn auf, diskret zu folgen. Man brachte ihn in einen bewachten Gewahrsamsraum ohne Essen und Trinken, ohne Zugang zur Toilette, gefüllt mit tschetschenischen Abschiebehäftlingen. Immerhin aber ließ man ihm sein Mobiltelefon samt Reservebatterie, das er auch benutzten durfte - wenn auch manchmal nur für wenige Minuten, weil danach regelmäßig die Leitung unterbrochen wurde. Immerhin gelang es Lange so, um Hilfe zu rufen: bei der deutschen Botschaft in Kiew, im Bundeskanzleramt, beim Europaabgeordneten Michael Gahler (CDU).
Mittlerweile hatte ein Grenzpolizist ihm auch verraten, wer die Festnahme angeordnet hatte: Der Befehl war direkt vom ukrainischen Geheimdienst SBU gekommen. Dessen jugendlicher Chef Valerij Choroschkowskij ist in der derzeit dominierenden Kiewer Seilschaft fest verankert; über seine Frau kontrolliert er „Inter Holding“, die größte private Sendergruppe des Landes.
Über seinen Geschäftsfreund, den derzeit wohl mächtigsten ukrainischen Oligarchen Dmitro Firtasch, ist er indirekt mit der umstrittenen Gashandelsfirma RosUkrEnergo und mit dem russischen Staatsmonopolisten Gasprom verbundenen. Die Gerichte in der Ukraine kann er über seinen Sitz im obersten Justizrat beeinflussen.
„Teuflische“ Wahl: Sofortige Ausreise oder Verhaftung
Als die deutsche Diplomatie, (nach Auskunft des Europaabgeordneten Gahler vor allem die deutsche Gesandte Schütz, da der Botschafter verreist war) - an diesem Abend mit dem Geheimdienstchef Choroschkowski direkt verhandelten, zeigte sich schnell, dass dieser es mit Langes Festsetzung überaus ernst meinte. Choroschkowski weigerte sich zunächst überhaupt, über die Sache zu sprechen und bestand auf der sofortigen Abschiebung Langes.
Später stellte er die Deutschen vor eine Wahl, die manche als „teuflisch“ beschreiben: Lange könne entweder sofort abreisen - man bot ihm mehrere Flüge an, die er allerdings selbst zu bezahlen hätte - oder er werde unverzüglich verhaftet und wegen Passfälschung, Spionage sowie illegaler Parteienfinanzierung vor Gericht gestellt.
Mobilisierung von Kanzleramt und Europaparlament
Als der Geheimdienstchef - übrigens ein gerade erst 41 Jahre alter, überaus sportlich wirkender junger Millionär - die Deutschen vor diese Wahl stellte, war allerdings bereits eine Welle der Unterstützung für Lange in Gang geraten. Die Presse nahm trotz gestörter Telefone die Sache auf. Beim G20-Treffen im kanadischen Toronto wurde die Bundeskanzlerin laufend informiert, im Europaparlament schaltete sich der Parlamentspräsident Jerzy Buzek ein. Dem Botschafter Heimsoeth gelang es schließlich, Präsident Janukowitschs Kanzleichef Sergej Ljowotschkin, den mächtigsten Beamten des Landes ans Telefon zu bekommen (Außenminister Hrischtschenko, der Konflikte mit dem Geheimdienstchef scheut, war abgetaucht).
Dieses Telefonat nach ganz oben hat zusammen mit der Mobilisierung von Kanzleramt und Europaparlament den Chef des Geheimdienstes wohl zuletzt zum Einlenken gebracht. Irgendwann nach 22 Uhr (Lange war um 14 Uhr festgesetzt worden) erklärte er sich bereit, den festgesetzten Chef der Adenauer-Stiftung in die Ukraine einreisen zu lassen - unter der strikten Bedingung, dass die ganze Affäre von beiden Seiten offiziell als „Missverständnis“ beschrieben werde. Wenn die deutsche Seite von dieser Abmachung abweiche, fügte er offenbar hinzu, könne man Lange nach wie vor jederzeit vor Gericht stellen.
Seither geht der Leiter der Adenauer-Stiftung in Kiew wieder seiner Arbeit nach. Die Bundesregierung hat ihrer „Irritation“ Ausdruck gegeben, hält sich aber an die Sprachregelung vom „Missverständnis“. Die Sprecherin Präsident Janukowitschs aber, die stellvertretende Kanzleichefin Hanna Herman, hat dieser Zeitung gesagt, der Geheimdienstchef Chorosckowskij sei ein „intelligenter“, „seriöser“ sowie „progressiv denkender“ Mann. Allerdings sei der Geheimdienst SBU, den er seit kurzem führe, leider noch sehr stark von Personal aus Sowjetzeiten geprägt. Junge, qualifizierte Leute habe man wegen der schlechten Bezahlung kaum gewinnen können. Vermutlich sei von diesen Kreisen die „Affäre Lange“ inszeniert worden - um den jugendlichen Chef Choroschkowskij in den Augen des Präsidenten zu diskreditieren.