Hafenstadt Odessa : Wo Korruption und Verbrechen gedeihen
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Ach, Odessa: Der jetzige Gouverneur der Hafenstadt und frühere georgische Präsident Mikhail Saakaschwili bei einem Fußballspiel Bild: (c) Thomas Dworzak / Magnum Phot
Verbrechen gedeihen in Odessa bestens, selbst für ukrainische Verhältnisse. Einige junge Leute kämpfen in der Hafenstadt am Schwarzen Meer dagegen an - und mittendrin ein ehemaliger georgischer Präsident.
Ihre Doktorarbeit hat Julija Maruschewska fürs erste beiseite gelegt. Mitte Oktober hat sie einen neuen Job angetreten, der rein gar nichts mit der „Mystifizierung in der ukrainischen Literatur des 20. Jahrhunderts“ zu tun hat. Aber das Thema war vielleicht keine schlechte Vorbereitung: Sie ist jetzt Chefin der Zollbehörde von Odessa.
Damit steht sie mitten in einem Kampf, in dem die Grenzen zwischen Politik und Verbrechen verschwimmen und Wirklichkeit und Verschwörungstheorie oft kaum auseinander zu halten sind.
Hinter allem, was geschieht, scheint sich unter der Oberfläche eine andere Handlung abzuspielen, und es ist nie ganz klar, welche die wahre Geschichte ist, und welche der Tarnung und Verschleierung dient.
Odessa hat in der Ukraine den Ruf einer Stadt, in der Verbrechen und Korruption sogar für landesübliche Verhältnisse besonders tiefe Wurzeln geschlagen haben. Das mag auch daran liegen, dass die bekanntesten und beliebtesten Gauner der sowjetischen Literatur ihre Heimat in der Hafenstadt am Schwarzen Meer haben.
In ihrem Gefolge hat sich in der ganzen russischen Welt in Musik und Film eine romantische Verklärung der Odessaer Räuberkultur ausgebreitet. Aber Odessas Ruf stammt nicht nur aus einer fiktiven Vergangenheit.
In den neunziger Jahren, als nach Erkenntnissen westeuropäischer Polizeibehörden ein großer Teil des russischen Ölexports von der organisierten Kriminalität abgewickelt wurde, war Odessas Hafen ein wichtiger Umschlagplatz für diesen Schmuggel – mit den üblichen Nebenwirkungen wie Auftragsmorden und Schießereien auf offener Straße.
Der Kampf um die kriminellen Claims war damals gleichzeitig immer auch ein Kampf um die politische Macht in der Stadt – und umgekehrt.
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Eine Frau kämpft gegen die Macho-Welt
Die Zeiten sind seither viel ruhiger geworden, aber viele von denen, die in den wilden Jahren groß im Geschäft waren, sind es auch heute noch. Einer von ihnen ist der bei der Kommunalwahl Ende Oktober im Amt bestätigte Bürgermeister Gennadij Truchanow.
Vor der Majdan-Revolution war er der starke Mann in der örtlichen Organisation der Partei des Präsidenten Viktor Janukowitsch, nun bezeichnet er sich als „unabhängig“. In einem Interview mit der Zeitschrift „Wlast Deneg“ („Macht des Geldes“) hat er vor vier Jahren den mächtigsten der Odessaer Paten der neunziger Jahre als „meinen Freund“ bezeichnet.
In einem an die Öffentlichkeit gelangten Bericht der italienischen Polizei über die ukrainische Mafia aus dem Jahr 1998 taucht Truchanow selbst an herausgehobener Stelle auf. Er war damals im Wach- und Schutzgeschäft tätig. Truchanow bestreitet Kontakte zur Unterwelt nicht, behauptet aber, nie selbst in kriminelle Geschäfte verwickelt gewesen zu sein. Und er gibt sich gerne raubeinig: „Wenn Banditen kamen und sich prügeln wollten, dann haben wir uns geprügelt“, antwortete er in dem Interview von 2011 auf die Frage, wie er damals geschäftliche Konflikte ausgetragen habe.
In dieser von Männern wie Truchanow geprägten Macho-Welt soll Julija Maruschewska nun die Korruption im Zoll ausmerzen – eine Literaturwissenschaftlerin von gerade einmal 26 Jahren, die schon äußerlich der größte anzunehmende Gegensatz zu den Männern ist, denen sie das Handwerk legen soll: Sie ist zierlich, hat lange dunkelbraune Haare und einen auffallend offenen Blick.
Dieser Blick hat seinen Teil dazu beigetragen, dass sie im Februar 2014 über Nacht bekannt wurde. In den Tagen der gewaltsamen Eskalation in Kiew nahm sie vor den Barrikaden des Majdan ein Video auf, in dem sie auf englisch an die Welt appellierte, die Ukrainer in ihrem Freiheitskampf zu unterstützen. Innerhalb weniger Tage wurde das Video auf Youtube mehrere Millionen Male aufgerufen. Das katapultierte die politisch bis dahin nicht aktive Universitätsdozentin in die Welt der Protestprominenz – und führte sie indirekt dorthin, wo sie heute ist.