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Österreich-Grüne vor Regierung : Mit Zuckerln und Grauslichkeiten

Mutig oder eher ein Hang zur Macht? Österreichs Grüne stimmen für eine Regierung mit der ÖVP. Bild: dpa

Sebastian Kurz will eine Koalition mit den Grünen bilden. Vor wenigen Jahren schien die Partei bedeutungslos. Nun hat sie das letzte Wort. Und ringt nur wenig mit der Regierungsverantwortung.

          5 Min.

          Die Neigung des Saals zur Rebellion war nicht sehr ausgeprägt. Die gut 270 Grünen, die am Samstagnachmittag über die erste Beteiligung an einer österreichischen Bundesregierung entscheiden sollten, erhoben sich geschlossen zu einem fünfminütigen Applaus, als der Vorsitzende Werner Kogler samt seinem Verhandlungsteam einzog. Der Bundeskongress in Salzburg war die letzte Hürde, die genommen werden musste, damit Kogler zum Vizekanzler Österreichs ernannt wird – und natürlich Sebastian Kurz, der Chef der christlich-demokratischen ÖVP, zum Kanzler.

          Stephan Löwenstein
          Politischer Korrespondent mit Sitz in Wien.

          Der erweiterte Bundesvorstand der Grünen hatte zuvor bereits einstimmig – was auch nicht selbstverständlich ist – dem „türkis-grünen“ Koalitionsvertrag zugestimmt, der erst am Donnerstag veröffentlicht worden war. Auf Seiten der ÖVP hat Kurz ohnehin qua Satzung alle Handlungsfreiheit, doch auch dort hat der Parteivorstand am Freitag akklamiert. Nun also sollte die grüne Parteibasis das letzte Wort haben. Es gab eine handvoll ablehnender Wortmeldungen, aber am Ende stimmte eine große Mehrheit von 93 Prozent der Delegierten dem Regierungseintritt der Grünen zu.

          Die Liste der von den Grünen vorgesehenen Regierungsmitglieder, über die gesondert abgestimmt wurde, erhielt sogar über 99 Prozent Zustimmung: Werner Kogler als Vizekanzler, Leonore Gewessler als Umweltministerin, Alma Zadić als Justizministerin, Rudolf Anschober als Sozialministerin sowie Ulrike Lunacek als Staatssekretärin für Kunst und Kultur.

          Dabei enthält der Koalitionsvertrag keineswegs nur „Zuckerln“ für die Grünen. Gewiss, da sind vier Ministerien, darunter ein Umwelt-Infrastruktur-Superministerium. Sie haben große Handlungsmöglichkeiten in ihrem Kernthema Klima- und Umweltschutz, auch ein „Transparenzpaket“ für Staat und Parteien steht auf der grünen Haben-Seite. Aber es sind auch Dinge vorgesehen, die mancher Delegierter „Grauslichkeiten“ nennt: eine harte Linie in Sachen Migration und Sicherheit, „Ausreisezentren“, Kopftuchverbot an Schulen für Mädchen bis vierzehn Jahren und vor allem die Möglichkeit einer Präventivhaft.

          Alternativlos

          Dass die Grünen dennoch zustimmen sollten, begründete Kogler in einer phasenweise erstaunlich fahrigen Rede im Wesentlichen mit zwei Argumenten: Wann sonst könnten die Grünen ihre Konzepte zu Umwelt und Klima in die Tat umsetzen? Und: Was käme sonst? Die „Blauen“ von der FPÖ drängten ungeachtet des Ibiza-Skandals schon wieder unverfroren ins Bild. „Es macht einen Unterschied, ob Türkis hier mit Grün regiert oder mit Blau.“ Zu den Merkwürdigkeiten des Vertrags gehört ein Passus, der einen „koalitionsfreien Raum“ lässt, falls eine Migrationskrise sich aufs Äußerste zuspitzen und die Regierungspartner sich partout nicht über eine Maßnahme einigen können. Kritiker in den Reihen der Grünen sehen das als zusätzliches Druckmittel an, das Kurz in die Hand gegeben werde. Denn schließlich kann die ÖVP jederzeit auch mit der rechten FPÖ eine Mehrheit im Parlament bilden – die Grünen haben keine Alternative. Aber man kann es natürlich auch so sehen wie jener weißbärtige Delegierte aus dem Burgenland, der auf eine entsprechende Frage dieser Zeitung antwortet: „Ich finde, das ist ein phantasievolles Konzept. Es hilft, einen endgültigen Bruch der Koalition zu vermeiden. Wir hatten das in unserer Jugend ja auch, dass Partner sich zu einer offenen Ehe gefunden haben.“ Das habe oft besser funktioniert als eine starre Beziehung.

          Koglers Rede, fahrig und mit nur zwei Argumenten bestückt
          Koglers Rede, fahrig und mit nur zwei Argumenten bestückt : Bild: EPA

          Kogler argumentierte nicht nur defensiv, er hielt auch positive Begründungen für seine Grünen bereit. „Das Klimaschutzpaket kann sich sehen lassen. Europa schaut darauf.“ Auch wenn im Koalitionsvertrag nicht alle Einzelheiten festgelegt seien: Ein Preis für CO2-Ausstoß werde auf die eine oder andere Weise bis 2022 kommen, „das brauchen wir von niemandem wegreden lassen – und schon gar nicht von denen, die sich nicht mal auskennen“. Österreich werde nicht das Weltklima retten. „Aber wir können Vorreiter sein.“

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