Wohin weht künftig der Wind für die Türkei? Bild: AP
Das Türkei als Opfer einer Verschwörung finsterer Mächte? Geht es nach Erdogan, sieht die Weltpolitik gerade so aus. Aber auch Amerika dreht weiter an der Eskalationsschraube. Ein Kommentar.
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Wenn es nicht rund läuft, und im Moment läuft es ganz und gar nicht rund, dann sucht der türkische Präsident Erdogan, so wie andere Herrscher seines Schlages, nach Sündenböcken. Mal findet er die im Inland, mal im Ausland. Jetzt hat er den größten möglichen Sündenbock gefunden, die Vereinigten Staaten. Deren Präsident hat wegen der Festsetzung eines amerikanischen Pastors neue Strafzölle gegen die Türkei verkündet.
Auf die Verschärfung der Währungskrise reagierte Erdogan mit dem Vorwurf „Wirtschaftskrieg“. In dem dramatischen Verlust des Außenwertes der Währung und der drohenden Bankenkrise will Erdogan natürlich nicht die Folgen seiner Politik sehen, wozu die Gefährdung der Unabhängigkeit der Zentralbank gehört. Für ihn ist die Türkei das Opfer einer Verschwörung finsterer Mächte, die dem Land nicht wohlgesinnt seien und, eben, einen Wirtschaftskrieg führten. Eine reichlich plumpe Sicht als Angebot an das heimische Publikum! Dass die Strafzölle die Krise verschärfen, ist allerdings nicht zu bestreiten.
Die Krise in der Türkei
Die Türkei steckt in einer schweren Währungskrise. Die Preise steigen rapide, die Lira sackt ab, die Menschen horten Dollar.
Was ist Erdogan die Nato-Mitgliedschaft (noch) wert?
Sanktionen sind das Lieblingsinstrument der Regierung Trump, und Zölle gegen Freund und Feind sind dem Mann im Weißen Haus besonders lieb. Die Verschlechterung des türkisch-amerikanischen Verhältnisses hat nicht unter Trump begonnen; es gibt viele Felder, auf denen die beiden Länder seit geraumer Zeit über Kreuz liegen. Der Putschversuch vom Juli 2016 hat die Entfremdung noch beschleunigt; jetzt drehen beide Seiten an der Eskalationsschraube. Wüsste man nicht, dass die Türkei und die Vereinigten Staaten Mitglieder der Nato sind, für die – heute muss man leider hinzufügen, im Prinzip – das gegenseitige Beistandsversprechen gilt, man hielte sie ganz sicher nicht für Verbündete.
Was ist Erdogan die Nato-Mitgliedschaft der Türkei (noch) wert? Die strategische Lage des Landes schätzt er jedenfalls richtig ein, und er droht aufreizend mit Partnerwechsel. Zufall oder nicht – am Montag wurde der russische Außenminister in der Türkei erwartet. In Russland wird Erdogan allerdings nicht jenen Partner finden, den er für dauerhaft stabile, dynamische Entwicklung der türkischen Wirtschaft braucht; den findet er nach, wie vor, vor allem im Westen. Doch dort, in Washington, sollte man auch nicht fahrlässig oder mutwillig die Türkei aus dem Bündnis treiben. Das wäre, ungeachtet aller Differenzen, das Letzte, was man gegenwärtig geopolitisch brauchen könnte.