Türkei : Die wichtigsten Fragen zur Neuwahl
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Recep Tayyip Erdogan bei einer Ansprache im Präsidentenpalast. Bild: dpa
Über Monate hinweg hat der türkische Präsident Neuwahlen zurückgewiesen. Um so überraschender kommt nun sein Vorstoß. Mit den Wahlen tritt das Präsidialsystem in Kraft. Geht es Erdogan vor allem darum?
Warum gibt es nun doch Neuwahlen?
In einer Fernsehansprache am Mittwoch begründete Erdogan die überraschende Entscheidung für Neuwahlen mit den „historischen Entwicklungen in Syrien“, die es notwendig machten, dass die Türkei rasch den Wechsel zum Präsidialsystem vollziehe. Die Verfassungsreform, die bei einem umstrittenen Volksentscheid vor einem Jahr mit knapper Mehrheit gebilligt worden war, tritt erst nach der nächsten Wahl vollständig in Kraft.
Nach Ansicht von Didier Billion vom Pariser Forschungszentrum Iris will Erdogan die Welle des Nationalismus nutzen, die seit der türkischen Militäroffensive gegen die kurdische YPG-Miliz im syrischen Afrin das Land erfasst hat. Zudem wolle er die Wahl abhalten, bevor sich die wirtschaftliche Situation verschlechtere, sagt der Türkei-Experte und erinnert daran, dass Erdogans Wahlerfolge bisher stets wesentlich auf seinem wirtschaftlichen Erfolg beruhten.
Warum sind die Wahlen wichtig?
Für die Opposition könnte die Wahl die letzte Chance sein, um die von ihr befürchtete Ein-Mann-Herrschaft zu verhindern. Denn mit den Wahlen tritt das im April 2017 per Referendum gebilligte Präsidialsystem in Kraft, das die Befugnisse des Präsidenten erheblich ausweitet. Zwar führt schon jetzt Erdogan die Regierung und kontrolliert die zentralen Institutionen des Staates, doch wird er mit dem neuen System seine Macht weiter festigen.
Wie sind die Bedingungen für die Wahl?
Die Wahlen werden unter dem Ausnahmezustand stattfinden, der nach dem Putschversuch von Juli 2016 verhängt und am Mittwoch um drei Monate verlängert wurde. Damit sind wichtige Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit eingeschränkt. Zudem wurde kürzlich eine umstrittene Wahlreform beschlossen, die die Kontrolle der Regierung über den Wahlablauf stärkt und ihr nach Ansicht der Opposition Manipulationen erleichtert.
Wie steht es um die Opposition?
Alle Oppositionsparteien haben erklärt, „bereit“ für Neuwahlen zu sein. Die linksnationalistische CHP von Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu hat aber noch nicht einmal einen Spitzenkandidaten nominiert. Die Mitte-Rechts-Partei IYI der MHP-Dissidentin Meral Aksener hat zwar angekündigt, ihre Vorsitzende ins Rennen zu schicken, doch ist noch unklar, ob die erst im Oktober gegründete Partei überhaupt zugelassen wird.
Die prokurdische HDP leidet hart unter Repressionen der Regierung und muss um den Wiedereinzug ins Parlament bangen. Ihre früheren Vorsitzenden und mehrere Abgeordnete sitzen im Gefängnis, tausende Mitglieder wurden inhaftiert.
Letztlich wird die Opposition nur eine Chance haben, wenn sie einen gemeinsamen Kandidaten gegen Erdogan aufstellt. Viel Zeit bleibt dafür nicht.
Wie stehen die Chancen der Regierung?
Erdogans islamisch-konservative AKP hat kürzlich mit Bahcelis ultranationalistischer MHP ein Wahlbündnis geschlossen. Dies soll der MHP den Sprung über die Zehn-Prozent-Hürde garantieren und Erdogan einen Sieg in der ersten Runde der Präsidentenwahl sichern. Nach Einschätzung von Berk Esen von Ankaras Bilkent-Universität will Erdogan mit den frühen Wahlen verhindern, dass sich die Opposition gegen ihn zusammenschließt.
Der Politologe sieht Erdogan als „klaren Favoriten“, da die Opposition nicht vorbereitet sei und der Ausnahmezustand dem Regierungslager in die Hände spiele. Garantiert ist ein Sieg aber nicht. Schließlich zeigte das Referendum von April 2017, dass auch viele AKP-Wähler mit Erdogans autoritärem Kurs unzufrieden sind. Damals gewann er trotz einer massiven Benachteiligung der Opposition nur sehr knapp.