Polen vor der Wahl : Östlich der Weichsel gibt es keine Tintenfische
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Auf der Fahrt durch Polen B: Eine Straßenbahn im Arbeiterstadtteil Nowa Huta im Osten von Krakau Bild: Getty Images
Vor der Parlamentswahl in Polen führt das nationalkonservative Lager. In Krakau, wo die politischen Pole des Landes besonders nah beieinander liegen, gibt man Weichtieren die Schuld.
Allerheiligenplatz, die Vier fährt ein. Hier ist das Herz der Altstadt. Rechts die Wawelburg, wo die Könige und Heiligen dieses Landes in ihren Felsgruften ruhen, links der Markt mit der Marienkirche, einem Traum aus Farbe und Gotik. Nebenan der Renaissancepalast des Bürgermeisters. Geradeaus aber, wohin die Gleise führen, geht es nach Nowa Huta. „Nowa Huta?!“ Dieser junge Typ, Fetzenjeans und Piercing, hatte nur gegrinst. „Da will doch kein Mensch hin, das ist doch nur finster.“ Die Tram kracht, rollt an. Die Wagen stammen noch aus den Siebzigern, eckig wie elektrifizierte Schuhkartons, steile Treppen, beschlagene Fenster. Die neuen Niederflurzüge, die jetzt auch hier immer häufiger auftauchen, schaffen es noch nicht auf dieser Linie. Das Gleis ist zu alt da draußen, sagen sie in der Verwaltung. Nowa Huta eben.
Die Altstadt mit ihrer Pracht, ihren Bierkellern, Boutiquen und Gogo-Bars ist durchquert, das glitzernde Einkaufszentrum am Bahnhof passiert. Die Fassaden werden bröseliger, die Blocks grauer. Tankstellen, Buden. Endlich, weit draußen, die „Neue Hütte“. Eine „neue Stadt für den neuen Menschen“ sollte das einmal werden. Ein aus dem Ackerboden gestampftes Stahlwerk und drumherum die Stadt der Arbeiter. Man hatte großartig geplant, damals im Kommunismus, gleich nach dem Krieg: Alleen, Parks und an den gewaltigen Wohnanlagen Gesimse, Säulen, Loggien – reinste Toskana. Die Großplatte war da noch nicht im Schwange.
Heute ist das passé. Die Fassaden sind schwarz von Ruß. Das Stahlwerk, das damals fast 40.000 Menschen beschäftigte, ist nach der Wende auf zweitausend Angestellte zusammengeschmolzen, nur ein einziger Hochofen ist noch im Gang. Wer deshalb die Vier nimmt, hinaus nach Nowa Huta, fährt ins Leere.
„Polen A und Polen B“
Sie sagen es ja selbst in diesem Land: Es gibt nicht nur ein Polen, es gibt zwei. Die Rechte sagt, es gibt das „liberale“ Polen, konsumistisch, kalt, ohne Gott und Vaterland, und das „solidarische“, das ehrliche, patriotische, gläubige. Die Liberalen sehen das andersherum: Für sie gibt es einerseits ihr offenes Polen, tolerant, europäisch, demokratisch, und andererseits das beschränkte, nationalistisch pfäffische „Ciemnogrod“, das „Finsterland“. Die Schlagzeilen machen daraus einfach „Polen A und Polen B“, und das ist zwar grob vereinfacht, aber nicht ganz falsch: Polen A, westlich der Weichsel, ist im Aufschwung und hat zuletzt die liberale „Bürgerplattform“ der Ministerpräsidentin Ewa Kopacz gewählt. Polen B dagegen, östlich des Stroms, stagniert und wählt die nationalkonservative Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) des zürnenden Jaroslav Kaczynski.
Seit ein paar Monaten ist „Polen B“ auf dem Vormarsch. Die Hegemonie der europäisch geprägten Bürgerplattform hat nach acht Jahren Risse bekommen. Bei der Präsidentenwahl im Mai hat sie mit der Niederlage des Amtsinhabers Bronislaw Komorowski gegen den Konservativen Andrzej Duda einen Schock erlitten, und am kommenden Sonntag steht vielleicht der nächste an: Dann wird ein neues Parlament gewählt, und alle Umfragen sagen, dass Kaczynskis konservative PiS mit ihrer Spitzenkandidatin Beata Szydlo stärkste Partei wird.
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Nirgends liegen A und B so nah beieinander wie in Krakau: dreißig Minuten in der Vier vom Allerheiligenplatz nach Nowa Huta. Auf den Karten der Wahlkommission ist die feine Trennlinie klar zu erkennen. Im zentralen Krakauer Stimmbezirk 22, gleich am Auditorium Maximum der Universität, haben bei der Präsidentenwahl 67 Prozent für Komorowski gestimmt, den Mann der Bürgerplattform. In Nowa Huta dagegen stimmten bis zu 70 Prozent für den Konservativen Duda.