Tiflis : Traum und Alptraum
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In Tiflis feiert die Opposition den Wahlsieg Bild: dapd
Auf den Straßen von Tiflis feiern in der Nacht zehntausende Georgier den Wahlsieg der Opposition. Das Wahlbündnis Georgischer Traum unter Führung des 56 Jahre alten Milliardärs Iwanischwili fügt Präsident Saakaschwili eine schwere Niederlage zu.
Kurz vor Schließung der Wahllokale um 20 Uhr kommt Bidzina Iwanischwili in das Hauptquartier seiner Wahlkämpfer in der Altstadt von Tiflis. Er und seine engsten Mitarbeiter befinden sich in einem eigenartigen, angespannten Zwischenzustand: Im Grunde wissen sie schon, dass er gleich den Sieg seiner Oppositionsbewegung „Georgischer Traum“ verkünden wird. Sie kennen die Zahlen, die gleich nach Schließung der Wahllokale in den von Iwanischwili beherrschten Fernsehsendern verkündet werden sollen, denn sie haben sie selbst zusammengetragen: Die vom reichsten Mann des Landes zusammen geschmiedete Koalition „Georgischer Traum“ fügt Präsident Micheil Saakaschwili und seiner Nationalen Bewegung in der Parlamentswahl eine schwere Niederlage zu.
Auf die Fragen der kleinen Gruppe von Journalisten, die in die Herzkammer seiner Kampagne gelassen wurden, antwortet Iwanischwili schon in der Pose des Wahlsiegers und künftigen Ministerpräsidenten – und zeigt zugleich, dass er diese Rolle noch nicht verinnerlicht hat: Auf die Frage, wohin ihn seine erste Reise als Regierungschef führen würde, entgegnet er zunächst: „Oh, ich reise nicht gern, ich bin in meinem Leben so viel gereist.“ Erst nach dem Hinweis, dass er es als Ministerpräsident nicht vermeiden könne zu reisen, und dass die erste Reise von politischer Symbolwirkung sei, sagt er: „Unser erster und wichtigster Freund sind die Vereinigten Staaten.“
Auf die Frage, ob er sich vorstellen könne, unter Präsident Saakaschwili – den er in den vergangenen Tagen als Kopf eines kriminellen Regimes angegriffen hat – Ministerpräsident zu werden, antwortet Iwanischwili: „Von mir aus ist das kein Problem.“
Gut die Hälfte der Mannschaft, die sich um den Fernsehapparat im Raum versammelt hat, sind Amerikaner: PR-Spezialisten, Wahlkampfmanager, politische Berater, darunter der frühere amerikanische Botschafter in Deutschland John Kornblum. Ihre Anspannung löst sich erst, als draußen vor dem Haus lauter Jubel ausbricht, als dort auf einem großen Bildschirm die Zahlen eingeblendet werden: 63 Prozent für „Georgischer Traum“ und nur 27 Prozent für die Regierungspartei. Während seine Mitarbeiter sich in den Armen liegen, trinkt Iwanischwili Wasser aus seinem Plastikbecher. Dann zeigt er sich zusammen mit seinem Sohn Bera, dessen Rap-Song „Georgischer Traum“ der Bewegung angeblich ihren Namen gegeben hat, kurz am Fenster. Wieder brandet Jubel auf.
Dann begibt sich Iwanischwili, der noch vor einem Jahr so zurückgezogen lebte, dass fast niemand wusste, wie er aussieht, in das Menschengetümmel, um seine erste Rede als Wahlsieger zu halten. Georgien brauche nun Liebe und Brüderlichkeit sagt er, und verspricht einen „respektvollen Umgang mit unserer Opposition“. Seine improvisierte Rede wird oft von Jubel unterbrochen: Als er verspricht, dass Georgien sicher der Nato betreten werde, als er die Gemeinsamkeiten mit den – in Georgien einen großen Anteil an der Bevölkerung stellenden – ethnischen Minderheiten betont, und als er sagt, die Georgier müssten ihre Herzen für die Abchasen und Südosseten öffnen, um die beiden abtrünnigen Gebiete zurückzugewinnen.
Während sich Iwanischwilis Anhänger zu Zehntausenden auf dem Freiheitsplatz im Stadtzentrum sammeln und in Autokorsos hupend und fahnenschwenkend durch die Stadt fahren, herrscht im Hauptquartier der regierenden Vereinten Nationalen Bewegung am Stadtrand, einem futuristisch wirkenden Bau aus Glas und Beton, betretene Ruhe, als auf dem großen Bildschirm die Ansprache von Präsident Saakaschwili gezeigt wird: „Auf der Grundlage der Exitpolls können wir schon jetzt sagen, dass die Koalition „Georgischer Traum“ bei der Listenwahl vorne liegt.“
In diesem Eingeständnis einer Niederlage ist eine wichtige Einschränkung enthalten: Von den 150 Sitzen im georgischen Parlament werden 77 über Parteilisten vergeben und 73 als Wahlkreismandate: „Aber es scheint, dass bei den Wahlkreismandaten die Vereinte Nationale Bewegung einen deutlichen Vorsprung hat.“

Die Regierungspartei hofft, dass sie auf diesem Weg trotz ihrer Niederlage noch eine Mehrheit im Parlament behalten wird. Giorgi Kandelaki, ein junger Abgeordneter der Nationalen Bewegung, ist bemüht, die Hoheit über die Interpretation der Zahlen zu gewinnen, die an der Öffentlichkeit sind: Die Zahlen der Opposition seien „absurd“ und unseriös, mit unklaren Methoden von fragwürdigen Instituten erhoben. Mit fast den gleichen Worten hatten seine Parteigenossen Kandelakis in den Tagen zuvor allerdings auch die einzige – von Forsa erhobene – Umfrage abgetan, die einen klaren Wahlsieg der Iwanischwili Koalition vorhersagt.
Kandelaki klagt, die Niederlage sei auf einen „ungeheueren psychologischen Druck“ zurückzuführen, den die Opposition in den vergangenen Tagen aufgebaut habe: „Die Leute haben nicht mehr gewagt, sich als unsere Anhänger zu erkennen zu geben.“ Kandelaki deutetet in vielen Formulierungen an, dass die Opposition die Wahl manipuliert habe.
„Wir sind alle Georgier, Bürger unseres Landes. Wir sollten zusammenhalten und es schaffen, im Rahmen unserer bestehenden Demokratie zusammenzuarbeiten, trotz des angespannten, emotionalen und leider oft dreckigen Wahlkampfs; diese Sachen sollten wir hinter uns lassen“, sagt Saakaschwili in seiner Fernsehansprache. Giorgi Kandelaki hört schweigend zu. Als kurz darauf Bidzina Iwanischwili gezeigt wird, zischt er: „Da entsteht ein neuer Turkmenbaschi“, und wendet sich ab. Der georgische Wahlkampf ist auch nach der Wahl noch nicht vorüber.