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Grenzstreit im Himalaja : Indien bringt tibetische Geheimtruppe gegen China in Stellung

Trauerzeremonie für einen im Grenzkonflikt mit China gefallenen Angehörigen einer aus Tibetern bestehenden Spezialeinheit in Leh am 7. September Bild: AFP

Erst Faustkämpfe, jetzt Schüsse? Im chinesisch-indischen Grenzkonflikt im Himalaja scheint eine neue Eskalationsstufe erreicht.

          2 Min.

          Der Grenzkonflikt zwischen China und Indien im Himalaja verschärft sich weiter. Noch im Juni hatten sich Soldaten der beiden Seiten heftige Faustkämpfe geliefert. Nun warfen Peking und Delhi einander am Dienstag vor, im Grenzgebiet Warnschüsse abgegeben zu haben. Es wäre das erste Mal seit dem Jahr 1975, dass entlang der Grenzlinie Schüsse gefallen sind. Das Verteidigungsministerium in Peking teilte mit, chinesische Soldaten hätten am Montag „Gegenmaßnahmen“ ergriffen, nachdem die indischen Streitkräfte das Feuer eröffnet hätten. Es warf den indischen Truppen eine „schwere militärische Provokation“ vor. Das Verteidigungsministerium in Delhi beschuldigte dagegen die Volksbefreiungsarmee, sie habe „aggressive Manöver“ durchgeführt. Demnach hätten sich chinesische Soldaten einer indischen Stellung genähert. Indische Soldaten hätten dies verhindert, worauf die Chinesen in die Luft geschossen hätten.

          Till Fähnders
          Politischer Korrespondent für Südostasien.

          Einem jahrelangen Einvernehmen der beiden Seiten zufolge tragen die Soldaten an der umstrittenen Grenzlinie zwar Waffen, verzichten aber auf ihren Gebrauch. Mitte Juni waren im Grenzgebiet bei einem Kampf mit Fäusten, Knüppeln und Steinen mehr als 20 indische Soldaten getötet worden. Auch an dem Gletschersee Pangong, der von beiden Ländern beansprucht wird, war es zuvor zu Handgreiflichkeiten gekommen. Der See war auch der Schauplatz der jüngsten Vorfälle. Schon Ende August hatte Indien gemeldet, chinesische Soldaten hätten versucht, am südlichen Ufer des Sees auf bisher nicht betroffenes Gelände vorzudringen. Diesen Truppenbewegungen sei man aber zuvorgekommen.

          Die Deeskalationsmechanismen funktionieren nicht mehr

          Indiens Außenminister Subrahmanyam Jaishankar sprach am Dienstag von einer „sehr ernsten Situation“ an der Grenze, die nach „sehr, sehr tiefen Gesprächen zwischen beiden Seiten auf dem politischen Level“ rufe. Der Außenminister reist in dieser Woche nach Moskau, um an einem Treffen der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit teilzunehmen. Es wird erwartet, dass er dort seinen chinesischen Gegenpart Wang Yi treffen wird. Vergangene Woche hatte in Moskau schon Indiens Verteidigungsminister Rajnath Singh den chinesischen Staatsrat und Verteidigungsminister General Wei Fenghe getroffen.

          Bild: F.A.Z.

          Trotz der Gespräche auf verschiedenen Ebenen ist eine Beruhigung der Lage nicht in Sicht. China und Indien haben unterschiedliche Vorstellungen von dem Verlauf der „Line of Actual Control“ (LAC), wie die Grenzlinie offiziell heißt. Im Jahr 1962 hatten sie einen kurzen, aber heftigen Grenzkrieg geführt. Nach indischer Darstellung liegt ein Hauptgrund für die jetzige Situation darin, dass die seit 1993 geltenden Vereinbarungen zwischen den beiden Ländern, die eine Eskalation verhindern sollen, in der derzeitigen Situation außer Kraft gesetzt seien. Indien sieht die Schuld auf Seiten der chinesischen Truppen, die in den vergangenen Monaten in bisher eigentlich unproblematische Gebiete vorgedrungen seien. In Verhandlungen hatten sich China und Indien daraufhin auf eine Deeskalation und einen schrittweisen Rückzug der Truppen geeinigt. Nach indischen Angaben haben sich die Chinesen aber nur im Galwan-Tal zurückgezogen, dem Schauplatz der Auseinandersetzung im Juni, nicht aus anderen Gebieten.

          Beobachter machen in den Ereignissen am Südufer des Pangong-Sees Ende August aber auch ein offensiveres Auftreten der indischen Truppen aus. Die Versuche, China mit Diplomatie, außenpolitischem Druck und wirtschaftlichen Strafmaßnahmen zum Einlenken zu bewegen, hätten bisher nicht gefruchtet, sagte Yogesh Joshi vom Südasieninstitut der Nationaluniversität Singapur der F.A.Z. Zu der verschärften indischen Strategie gehört ihm zufolge auch der ungewöhnlich offene Umgang Indiens mit dem Einsatz einer vornehmlich aus ethnischen Tibetern zusammengesetzten Spezialeinheit des indischen Militärs in dem Konflikt. Diese Special Frontier Force (SFF) operierte bisher meist im Verborgenen. Seit einigen Tagen berichtet die indische Presse nun aber über den Einsatz dieser „Geheimtruppe“ an der Grenze. Damit wolle die indische Seite ein Signal an China senden, wonach es die für Peking wichtige Tibet-Frage zum Teil des Konflikts machen könne, sagt Yogesh Joshi. Tibet ist ein Streitfaktor zwischen den beiden Ländern, seitdem der Dalai Lama ins Exil nach Indien geflohen war.

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