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Proteste in Moskau : Nur Widerstand hilft

Unter den Augen Lenins: Der Oppositionelle Ilja Jaschin am Sonntag in Moskau. Bild: AP

Sie rufen „Putin ist ein Dieb“ oder „Wir sind hier die Macht“: In Moskau demonstrieren am Sonntag einige tausend Menschen dafür, oppositionelle Kandidaten zur Wahl zum Moskauer Stadtparlament zuzulassen.

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          Es kommt nicht oft vor, dass durch das Zentrum Moskaus Rufe wie „Putin ist ein Dieb“ oder „Wir sind hier die Macht“ hallen. Demonstrationen der sogenannten nicht-systemischen Opposition werden hier nicht erlaubt, die Teilnahme ist mit Risiken verbunden, üblicherweise Festnahmen, Geldbußen und mehreren Tagen Arrest. Dennoch kommen am Sonntagnachmittag viele Menschen her, um dafür zu demonstrieren, dass unabhängige Kandidaten zu den Wahlen zum Moskauer Stadtparlament am 8. September zugelassen werden. Illegal, denn ihren Marsch hat die Stadtverwaltung unter Präsident Wladimir Putins Mann für die Hauptstadt, Sergej Sobjanin, wie üblich nicht erlaubt.

          Friedrich Schmidt
          Politischer Korrespondent für Russland und die GUS.

          Nach offiziellen Angaben sind rund 1000 Personen gekommen, laut den Organisatoren einige tausend; letzteres erscheint plausibel. Vor dem Rathaus skandieren die Teilnehmer „Das ist unsere Stadt“ oder „Sie sollen uns hören“, sie fordern „Lustration“ (eine Reinigung der Staatsstrukturen von korrupten Kadern) und „Hände weg von den Unterschriften“. Denn ein Streit um Unterschriften liegt der Mobilisierung zugrunde: Die unabhängigen Kandidaten, die nicht von einer im Parlament vertretenen Partei aufgestellt werden, mussten in den vergangenen drei Wochen Unterschriften von drei Prozent der in ihrem Wahlkreis registrierten Wähler sammeln, um zugelassen zu werden, in der Regel rund 4500 bis 5000.

          Angriffe nicht näher identifizierter Männer

          Man konnte die Kandidaten und Helfer auf Straßen und Plätzen bei ihrer Arbeit beobachten, die nicht nur wegen der Urlaubszeit schwierig war: Wer gibt seine Passdaten schon gerne Leuten, die in den gelenkten Medien als Verräter im Solde des Westens gebrandmarkt werden? Die Aktivisten der Partei Jabloko oder des Antikorruptionskämpfers Alexej Nawalnyj trotzten bei ihren Sammelaktionen Wind, Wetter und teils auch Angriffen nicht näher identifizierter junger Männer. Theoretisch hätte man auch Sammlungen für Politiker der Machtpartei „Einiges Russland“ sehen müssen. Denn sie treten bei den Wahlen als unabhängige Kandidaten an, um ihre Verbindung zu der von Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew geführten Partei zu verschleiern, die derzeit unbeliebter ist denn je.

          Doch man fand bei diesen Kandidaten keinerlei Sammelbemühungen, hingegen „Unterschriftenfabriken“, in denen Leute im Akkord Daten in Listen übertrugen. Derlei ist strafbar, ermittelt wird aber nicht, und Zweifel meldete die Wahlkommission über das Wochenende nur bei Kandidaten der Opposition an: Mehrere von ihnen sollen an diesem Montag wegen angeblich jeweils mehr als zehn Prozent ungültiger Unterschriften nicht zugelassen werden.

          Unter sind besonders lautstarke Gegner wie die Nawalnyj-Mitstreiterin Ljubow Sobol, der Kommunalpolitiker Ilja Jaschin und Dmitrij Gudkow, der bis 2016 als allerletzter oppositioneller Abgeordneter in der Duma, dem Unterhaus, den Behörden mit Anfragen zu mutmaßlich in der Ukraine gefallenen russischen Soldaten zusetzte. Gudkow teilte am Sonntag mit, Polizisten setzten jetzt Leute, die für ihn unterschrieben hätten, unter Druck, das zu leugnen.

          „Ununterbrochene Aktionen“

          Die Hebel und die Bühne, über die auch Stadtverordnete verfügen, vermutet einer der vielen jungen Demonstranten vor dem Rathaus als Grund für das Verhalten der Stadtführung; dass die Wahlkommission selbständig entscheidet, glaubt hier niemand. Eine weitere Überzeugung eint die Demonstranten: dass nur Widerstand zum Einlenken führen können, wie jüngst im Fall des Journalisten Iwan Golunow, der unter anderem über Korruption bei den Moskauer Mächtigen geschrieben hatte, im Juni wegen angeblichen Rauschgiftbesitzes verhaftet wurde, aber nach Protesten freikam. Jaschin kündigt daher „ununterbrochene Aktionen“ an, um für die Zulassung zu kämpfen: „Sie nehmen nicht uns die Mandate weg, sondern euch die politische Vertretung“, ruft er. Vor dem Sitz der Wahlkommission nehmen Sicherheitskräfte am Abend mehr als 30 Demonstranten fest, unter ihnen die Kandidaten Jaschin und Sobol.

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