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Taliban-Drohungen : Afghanistan-Truppe nicht alleine lassen

  • -Aktualisiert am

Bundeswehrsoldaten verladen im Camp Marmal einen Hubschrauber CH 53 in eine Antonov-124-Frachtmaschine Bild: dpa

Sollte die Bundeswehr länger am Hindukusch bleiben, braucht sie rasch robuste Verstärkung und schwere Waffen. Sonst wäre sie den Taliban ausgeliefert.

          3 Min.

          Gemeinsam rein, gemeinsam raus. Diesem Grundsatz will die Nato beim Einsatz in Afghanistan folgen. Nicht alle Mitgliedstaaten haben das so ernst genommen wie Deutschland, das seit Jahren zweitgrößter Truppensteller am Hindukusch ist. Die Anwesenheit in Afghanistan hatte allerdings neben lokalen Effekten zuletzt zwei Funktionen: Sie signalisierte der Regierung in Washington unverbrüchliche Bündnistreue, auch in Zeiten des sprunghaften Präsidenten Trump. Die kontinuierliche deutsche Präsenz diente zugleich als eine Antwort auf Forderungen, die bereits Trumps Vorgänger Barack Obama an die Bundesregierung gerichtet hatte: Das Zwei-Prozent-Ziel wurde verfehlt, aber in Afghanistan leistete Deutschland seinen Beitrag.

          Der Einsatz selbst ist seit mindestens einem halben Jahrzehnt von geringem Nutzen, wenn überhaupt. Die Bundeswehrsoldaten haben sich überwiegend in einem hoch gesicherten Militärlager in der Nähe der nordafghanischen Stadt Mazar-i-Sharif verschanzt, Patrouillen ins Umland sind ebenso rar wie Besuche in der Stadt. Kontakt zu Einheimischen gibt es seit Jahren praktisch nicht mehr.

          Die Tätigkeit innerhalb der Nato-Mission „Resolute Support“ beschränkt sich auf die oft unterbrochene Ausbildung einiger afghanischer Militärs in einer rund 20 Kilometer entfernten Kaserne. Zur Arbeit fliegen die Instrukteure aus Sicherheitsgründen per Helikopter, die Straßen sind zu gefährlich. Während des Unterrichts wird jeder Instrukteur von mehreren schwer bewaffneten Bundeswehrsoldaten vor möglichen „Innentätern“ geschützt, die danach trachten, ihre ausländischen Helfer zu töten.

          Das Schulterpatch der NATO-Mission „Resolute Support“ auf der Uniform eines Bundeswehrsoldaten im Feldlager Camp Marmal.
          Das Schulterpatch der NATO-Mission „Resolute Support“ auf der Uniform eines Bundeswehrsoldaten im Feldlager Camp Marmal. : Bild: dpa

          Die Mission kostete zuletzt rund 450 Millionen Euro pro Jahr. Wahrscheinlich wäre es günstiger gewesen, die afghanischen Unteroffiziere oder Offiziere in Deutschland auszubilden und jedem Einzelnen bei der Heimreise 200.000 Euro mitzugeben. Misslich ist auch, dass ein Teil der afghanischen Armee, bis zu einem Drittel, nach der Ausbildung desertiert und seine neu erworbenen Fähigkeiten fortan den aufständischen Taliban zur Verfügung stellt.

          Niemand würde den Abzug bedauern

          Es gab, wie gesagt, überwölbende Gründe, sich dennoch an dieser Mission zu beteiligen. Dennoch würde in den Streitkräften niemand den bevorstehenden Abzug bedauern. Seit Monaten bereitet sich die Bundeswehr darauf vor, viel Material ist bereits verpackt und nach Hause geschickt worden. Bis zu 150 Aufräumer und Packmeister haben die Bestände ausgemistet. Schwere Waffen hat die Truppe im Camp Marmal seit längerem nicht mehr zur Verfügung.

          Das größte Risiko bestand zuletzt darin, dass der amerikanische Präsident Trump über Nacht die letzten amerikanischen Truppen abziehen und die Deutschen bei Sonnenaufgang ohne den überlebensnotwendigen Beistand dastehen könnten. Dann wäre der Bundeswehr nur noch der beschleunigte Rückzug geblieben. Transportkapazitäten standen und stehen für diesen Fall bereit. Das bedeutet praktisch, man hat teure Standby-Verträge mit zivilen Transportfirmen geschlossen, die jederzeit Großraumflugzeuge zur Verfügung halten müssen. Mit dem Regierungswechsel in Washington scheint diese Gefahr gebannt. Die Bundeswehr richtete sich zuletzt darauf ein, die verbliebenen rund 1100 Soldaten mit Auslaufen des Bundestagsmandats Ende März zurückzuholen.

          Jetzt aber scheint es, als gehe es nicht mehr um baldigen oder überstürzten Abzug, sondern um längeres Bleiben. Wenn man Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hört, so lange „bis die Zeit reif ist“. Das ist eine äußerst diffuse Botschaft, denn in den vergangenen 20 Jahren hat sich das meiste in Afghanistan eher verschlechtert: Die Sicherheitslage ist katastrophal, die Korruption blüht, wirtschaftlicher Fortschritt ist kaum erkennbar, dafür blühende Mohnfelder, auf denen Drogen angebaut werden.

          Das alles weiß die Bundesregierung. Unter anderem deswegen gibt es zu Afghanistan seit Jahren auch keinen der früher so genannten „Fortschrittsberichte“ mehr. Und auch deswegen weigert sich das Auswärtige Amt, geführt von Heiko Maas (SPD), der Forderung der Opposition nachzukommen, eine Bilanz der bisherigen fast 20 Jahre vorzulegen.

          Dennoch wird die Bundeswehr noch eine Weile bleiben müssen. Denn selbst Kritiker des Einsatzes fanden es falsch, ausgerechnet inmitten der Gespräche zwischen Taliban und Regierungsvertretern aus Kabul der schwachen Zentralregierung den militärischen Rückhalt der Nato zu entziehen, ohne den sie nicht überleben kann. Jetzt, wo eine neue amerikanische Regierung das ähnlich zu sehen scheint, muss Berlin beim Grundsatz „gemeinsam rein, gemeinsam raus“ bleiben.

          Zugleich aber sollte das Parlament rasch dafür sorgen, dass die Soldaten dort unten bestmöglich ausgerüstet und unterstützt werden. Die Taliban haben angedroht, dass sie nach Auslaufen einer Frist Ende April wieder damit beginnen werden, die Koalition zu attackieren. Die Amerikaner haben fast keine regulären Truppen mehr im Land. Die Air Force flog zuletzt noch ungefähr ein Zehntel der vorigen Aufklärungseinsätze.

          Bloß die Bundeswehr sitzt in unveränderter Personalstärke, gemeinsam mit vielen kleineren Partnern, im Camp Marmal. Es ist jetzt Aufgabe der militärischen Führung und der Politik, umgehend dafür zu sorgen, dass sie im Fall eines längeren Bleibens nicht nur für rasche Absetzbewegung vorbereitet werden, sondern auch für den Fall gerüstet werden, dass die Taliban ihre Drohung wahr machen. Die Zeit drängt, in sechs Wochen endet das Mandat.

          Peter Carstens
          Politischer Korrespondent in Berlin

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