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Syrische Flüchtlinge : Auf dem Fahrrad von Russland nach Norwegen

Luftschlag: Das Bild zeigt einen russischen Angriff im westsyrischen Idlib. Bild: AFP

Russlands Führung will nach eigenem Bekunden dem syrischen Volk helfen. Doch Asyl für Flüchtlinge gibt es kaum. Viele greifen daher zu ungewöhnlichen Mitteln.

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          Aus Syrien wird von russischen Luftschlägen im Kampf um Aleppo berichtet. Eine neue Flüchtlingswelle drohe. Freilich droht sie nicht Russland. Zwar legt die Moskauer Führung Wert darauf, dem „syrischen Volk“ zu helfen. Auch hat sie sich verpflichtet, die Genfer Flüchtlingskonvention einzuhalten. Doch ist es praktisch unmöglich, in Russland als Flüchtling anerkannt zu werden und dauerhaft Asyl zu erhalten.

          Friedrich Schmidt
          Politischer Korrespondent für Russland und die GUS.

          Laut den jüngsten Daten der Einwanderungsbehörde FMS von Ende Juni haben nur 816 Personen im Land den entsprechenden Status. 285 von ihnen stammen aus der Ukraine; die meisten waren Mitarbeiter der Sicherheitskräfte und der Staatsanwaltschaft von Präsident Viktor Janukowitsch. Nur drei dieser Flüchtlinge stammen aus Syrien; sie gehören angeblich zu einer Familie, die schon lange in Russland lebt.

          Vorwürfe wegen fehlender oder fehlerhafter Dokumente

          Verbreiteter ist die Gewährung von „zeitweiligem Asyl“ für jeweils zwölf Monate. Die Mehrzahl dieser Flüchtlinge in Russland sind Ukrainer; Ende Juni waren es mehr als 310.000. Laut FMS-Angaben beantragten von 2011 bis Ende Juni dieses Jahres insgesamt nur 3852 Syrer in Russland „zeitweiliges Asyl“. Ende Juni waren demnach 1585 Syrer mit diesem Status im Land, einige hundert weniger als noch sechs Monate zuvor. In der Praxis ist es nach Auskunft der Organisation „bürgerlicher Beistand“ für Syrer schon schwierig, überhaupt den Antrag beim FMS einzureichen. Nicht nur wegen der Wartezeiten, während derer der Flüchtling aus Sicht der Behörden illegal im Land ist.

          Swetlana Gannuschkina, die Vorsitzende der Hilfsorganisation, berichtet sogar von Fällen, in denen der Wachdienst die Polizei rief, die dann die Flüchtlinge, die vor dem FMS-Gebäude ausharrten, wegen fehlender Papiere festsetzte. Dann drohen Anklagen wegen illegalen Aufenthalts und schlimmstenfalls Abschiebungen. Vorwürfe wegen fehlender oder fehlerhafter Dokumente können auch aus der Luft gegriffen sein. Seit Wochen sitzt eine sechsköpfige syrische Familie – Vater, Mutter und vier Kinder – in einem Transitbereich des Moskauer Flughafens Scheremetjewo fest, die darauf gehofft hatte, in Russland einen Aufenthaltstitel zu erhalten und zu einer Verwandten in die russische Stadt Samara zu ziehen. Ihnen wird vorgeworfen, mit gefälschten Pässen nach Russland gekommen zu sein. Obwohl ihnen Visa ausgestellt worden waren und das syrische Außenministerium mittlerweile bestätigt hat, dass die Pässe echt seien.

          Es bleibt nur die Schwarzarbeit

          Insgesamt halten sich laut FMS rund 12.000 Syrer in Russland auf. Swetlana Gannuschkina schätzt, dass zusätzlich zu denjenigen, denen „zeitweiliges Asyl“ gewährt wurde, mehr als 8000 dieser Personen faktisch ebenfalls Flüchtlinge sind. Ein Recht auf finanzielle Unterstützung gibt dabei selbst der Status „zeitweiliges Asyl“ nicht. Sie haben das Recht zu arbeiten. Doch Arbeitgeber, klagt Gannuschkina, wüssten das nicht und beschäftigten die Flüchtlinge nicht. So bleibe denen nur die Schwarzarbeit. Die fänden sie, so die Menschenrechtlerin, wenn überhaupt nur in und um Moskau und nicht in den derzeit drei Aufnahmezentren in entfernteren Regionen mit insgesamt 700 Plätzen, wo sie kostenlos untergebracht werden könnten.

          Im Ringen mit dem Westen kommen der Führung die neuen Flüchtlingsströme aus Syrien entgegen: Sie schwächen und spalten die EU-Staaten. Selbst Syrer, die schon länger in Russland waren, verlassen nun das Land. Berichtet wurde, dass viele Syrer, die illegal in einer Nähfabrik in Noginsk nahe Moskau arbeiteten, in die Türkei ausgereist seien, um von dort nach Deutschland weiterzuziehen. Eine alternative Route führt über Murmansk zum Grenzübergang Storskog in der Arktis nach Norwegen. Russisches Recht verbietet eine Überquerung zu Fuß, norwegisches Recht die Mitnahme von Personen ohne gültige Papiere im Auto, weshalb die Syrer Fahrräder kaufen und so die Grenze passieren. 1100 Syrer sollen so seit Beginn des Jahres nach Norwegen gelangt sein. Der norwegische Justizminister Anders Anundsen sagte nun, man wolle einige der Angekommenen zurückschicken, da sie schon lange legal in Russland gelebt und dort einen „sicheren Hafen“ hätten.

          Swetlana Gannuschkina hofft derweil, dass die russischen Behörden die verbreitete Abschiebepraxis beenden. In der vorigen Woche hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Russland wegen der geplanten Abschiebung dreier Männer nach Syrien verurteilt. Dort drohe ihnen Gefahr für Leib und Leben.

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