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Attentat in Algeciras : Fragen nach dem dschihadistischen Anschlag

Eine Stadt gedenkt: Bewohner von Algeciras legen Blumen an dem Ort nieder, an dem ein Küster erstochen wurde. Bild: AP

Nach dem tödlichen Attentat in Algeciras streitet man in Spanien über den Islam. Und man fragt sich, weshalb der marokkanische Angreifer überhaupt noch im Land war.

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          An der Plaza Alta im Zentrum von Algeciras erinnern Blumen, Kerzen und eine kleine spanische Flagge an den Ort, an dem der marokkanische Migrant dem fliehenden Küster vor der Kirche mit seiner Machete am Mittwochabend den Todesstoß versetzt und vier weitere Menschen verletzt hatte. „Der Islam hat damit nichts zu tun“, stand auf einem Plakat, das eine Frau zu einer Gedenkstunde dorthin mitbrachte. Zum Trauergottesdienst kamen am Freitag auch Vertreter der muslimischen Ge­meinde von Algeciras, wo man stolz ist auf das gute Zusammenleben.

          Hans-Christian Rößler
          Politischer Korrespondent für die Iberische Halbinsel und den Maghreb mit Sitz in Madrid.

          Unter den 120.000 Einwohnern der Hafenstadt an der Straße von Gibraltar wohnen Menschen aus mehr als 120 Ländern. Für die Marokkaner, die die größte Gruppe sind, ist Algeciras das Tor nach Spanien. Nur gut eine Stunde brauchen die Fähren in die spanische Stadt, in der viele zu kämpfen haben: Rund ein Viertel der Bewohner hat keine Arbeit. Die Kriminalitätsrate ist dennoch niedriger als in der andalusischen Hauptstadt Sevilla.

          Besonders prekär ist die Lage marokkanischer Migranten, die ohne die nötigen Dokumente in der Stadt stranden. Zu ihnen zählte der 25 Jahre alte Marokkaner, der am Mittwochabend mit einer Machete in zwei Kirchen im Zentrum der Stadt gestürmt war, einen 74 Jahre alten Priester und drei weitere Menschen verletzt hatte, bevor er den Küster auf den Stufen der Kirche tötete.

          Im Juni ohne Ausweis und Berechtigung aufgegriffen

          Nicht nur in Algeciras fragte man sich, weshalb der junge Marokkaner überhaupt noch im Land war. Der Attentäter war im vergangenen Juni ohne einen Ausweis und eine Aufenthaltsberechtigung aufgegriffen worden, Anfang No­vember erging dann die Aufforderung, Spanien zu verlassen. Doch es dauert oft lange, bis aus Marokko die Ausweispapiere für die Abschiebung kommen. Die spanischen Behörden wiesen zuletzt nur zwischen sieben und neun Prozent der ausreisepflichtigen Ausländer aus. In Algeciras berichten jetzt Hilfsorganisationen, dass illegalen Migranten wegen ihrer jahrelang andauernden ungewissen Lage große psychische Probleme zu schaffen machten, sie aber oft keine psychiatrische Hilfe erhielten. Der Attentäter war offenbar schon in Marokko in psychiatrischer Behandlung, wie ein Korrespondent der Zeitung „El País“ in seinem Heimatdorf erfuhr, das gegenüber auf der Straße von Gibraltar liegt. Er habe Rauschgift genommen, islamistischen Terror aber immer verurteilt.

          In Algeciras durchlief er dann in den vergangenen beiden Monaten offenbar eine „Express“-Radikalisierung, wie spanische Medien aus Ermittlerkreisen be­richteten. Nach den ersten Erkenntnissen war er ein „einsamer Wolf“, der den Sicherheitskräften noch nicht aufgefallen war. Jetzt stellten sie jedoch fest, dass er im Internet reichlich „dschihadistisches Material“ konsumiert habe. Kurz vor dem Angriff habe er auf Facebook Unterstützung für den Dschihad und die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) signalisiert. Die Mitbewohner hatten schon seit einiger Zeit seine Veränderung beobachtet. Er habe sie mit dem Tod bedroht und behauptet, er habe „den Teufel gesehen“. Der Ermittlungsrichter am Obersten Strafgerichtshof sieht eine Verbindung zum „dschihadistischen Salafismus“. Da­mit wäre es der erste Anschlag dieser Art in Spanien seit den Attentaten 2017 in Barcelona und Cambrils.

          In Spanien beobachten Fachleute schon seit einigen Jahren, dass sich der Dschihadismus immer stärker in ein einheimisches Phänomen verwandelt. Sechs von zehn Dschihadisten radikalisierten sich inzwischen in Spanien. Vierzig Prozent stammen aus Marokko, ein Drittel besitzt die spanische Staatsangehörigkeit – so wie der junge Spanier marokkanischer Herkunft, der am Tag der Macheten-Attacke in Girona festgenommen wurde, nachdem er im Internet Informationen über Anschläge mit Hieb- und Stichwaffen gesucht hatte.

          Während in Spanien Bischöfe wie Imame dazu aufriefen, die gute Koexistenz nicht von Fanatikern zerstören zu lassen und Muslime pauschal zu dämonisieren, versuchte die rechtspopulistische Vox-Partei sofort politisches Kapital zu schlagen. Für Vox war das Attentat eine Folge der großen „Migrations-Invasion“, die linke Medien vertuschten. Empörte Reaktionen rief der Vorsitzende der ­konservativen Volkspartei (PP) Alberto Núñez Feijóo hervor. Im Unterschied zu anderen Völkern, sagte der Oppositionsführer in Anspielung auf den Islam, habe „viele Jahrhunderte lang kein Katholik oder Christ im Namen seiner Religion gemordet“.

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