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Luftverschmutzung in Russland : Wo Städte für den Sex von Oligarchen sterben

  • -Aktualisiert am

Ist mit Rohstoffunternehmen reich geworden: Oleg Deripaska Bild: Reuters

Alle reden gerade über Oleg Deripaska – wegen eines Escort-Mädchens. In Sibirien, wo seine Fabriken stehen, haben die Menschen aus anderen Gründen genug von dem Milliardär.

          5 Min.

          Für die sibirische Stadt Krasnojarsk wird die Luft dünn. So dünn, dass sich am Montag etwas mehr als 100 Menschen vor dem Gebäude der Regionalverwaltung des gleichnamigen Kreises versammelten und dabei zum Teil demonstrativ Atemschutzmasken trugen. Sie protestierten damit gegen die ökologische Situation, die sich in der Millionenstadt vor allem während der Wintermonate dramatisch verschärft hat.

          Laut AirVisual, einer Internetanwendung zur Veranschaulichung der Luftqualität in Großstädten, war Krasnojarsk Anfang Februar gleich mehrmals Spitzenreiter unter den Städten mit der dreckigsten Luft – und das weltweit. Teilweise setzte es sich in der Auflistung sogar deutlich ab von seinen „Verfolgern“, ausnahmslos Städten in asiatischen Entwicklungsländern. Bürger von Krasnojarsk haben in den vergangenen Jahren auf eigene Faust Messgeräte installiert, die Feinstaubpartikel mit einer Größe von unter 2,5 Mikrometern erfassen. Diese gelten als besonders gesundheitsschädlich, da sie tiefer in die Atemwege eindringen und länger darin verbleiben. Auf einer Seite werden die Daten gesammelt und anschließend zur Auswertung an AirVisual weitergeleitet.

          Wie ernst die Lage zur Zeit ist, zeigt aber nicht nur der Blick in die App, sondern auch die Tatsache, dass seit Anfang des Jahres schon sieben Mal der Zustand „ungünstiger Wetterbedingungen“ ausgerufen wurde. Bürger werden auf der Seite der Stadtverwaltung von Krasnojarsk aufgefordert, in diesen Zeiten auf das Auto zu verzichten, mit Kindern die Nähe von Straßen zu meiden und nach Möglichkeit öfter zur Datsche oder in die Natur zu reisen; Unternehmen sollen den Ausstoß von Schadstoffen minimieren.

          Blauer Himmel bei Putins Besuch

          Als einen wesentlichen Grund für die Luftverschmutzung in ihrer Stadt sehen viele Einwohner von Krasnojarsk zwei örtliche Großbetriebe, die namhaften Milliardären gehören: die Kohlekraftwerke von Andrej Melnitschenko und die Aluminiumfabrik von Oleg Deripaska. Deripaskas Werk in Krasnojarsk ist die größte Aluminiumfabrik der Welt. Dementsprechend richtete sich der Protest der Demonstranten vor der Regionalverwaltung gegen diese beiden Hauptluftverschmutzer.

          „Sibirische Antwort auf Deripaska“ lautete am Dienstag eine Schlagzeile: „Eine Ehefrau und Mutter mobilisiert die Krasnojarsker zu Kundgebung gegen Oligarchen“. Gemeint war die Krasnojarskerin Tatjana Prozykowa, die sich auf „Instagram“ bescheiden als „Ehefrau und Mutter“ bezeichnet und zu der von den Behörden nicht genehmigten Veranstaltung aufgerufen hatte. In dem Aufruf, der auch in dem russischen Facebook-Pendant Vkontakte auftauchte, schrieb Prozykowa über ihre Heimatstadt: „Deine sterbenden Lungen müssen gerettet werden! Krasnojarsk, du sollst leben! Atmen!“ – und fügte ein Video hinzu, das die Stadt unter einer Smogdecke begraben zeigt.

          Es sei seltsam, dass man plötzlich blauen Himmel habe und alles wunderbar sei, sobald der Präsident oder hochrangige Beamte nach Krasnojarsk kämen, sagte Pozylowa während der Zusammenkunft unter dem Motto „Für einen sauberen Himmel“. „Und nach ihrer Abfahrt erzählen unsere Politiker, wie toll sie mit ihnen über die Regulierung unserer ökologischen Probleme geredet haben.“

          So geschah es, als Wladimir Putin – dem Deripaska sehr nahe steht – in der vergangenen Woche Krasnojarsk einen Besuch abstattete und auf Aleksandr Uss traf, den kommissarischen Gouverneur der Region. Auf einer gemeinsamen Sitzung beklagte Putin die hohe Emission durch die beiden größten Firmen und beauftragte seinen Vertreter, den „Übergang zu den bestmöglichen erreichbaren ökologischen Technologien“ fortzusetzen. Gleichwohl bemühte er sich zu betonen, dass der Autoverkehr mit einem Anteil von 36 Prozent an allen Emissionen vor der Aluminiumfabrik mit 29 Prozent stehe. 60 Prozent aller Fahrzeuge seien zudem veraltet, schob Uss eifrig nach – und überhaupt sei Krasnojarsk die Stadt mit dem größten Verkehrsaufkommen nach Moskau und Sankt Petersburg.

          Deripaska hat zur Zeit andere Sorgen

          Doch auch unabhängige russische Medien sehen den Hauptgrund für die Verschmutzung in Krasnojarsk in den Großbetrieben Melnitschenkos und Deripaskas. Seit Letzterer vor 18 Jahren wenige Tage nach Putins Wahl zum Präsidenten die Aluminiumfabrik übernommen habe, sei die Metallgewinnung von 800 Tonnen pro Jahr auf etwa eine Million angestiegen, schreibt etwa die „Nowaja Gazeta“. In diesem Zeitraum, so das Blatt, habe sich auch die Krebserkrankungsrate stark erhöht. Ein direkter Zusammenhang sei bislang nicht belegt, Nowaja Gazeta verweist aber auf mehrere Studien, die einen solchen nahelegen.

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