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Uneinigkeit in Katalonien : Mehr Rechte statt der Unabhängigkeit?

Für Katalonien: Demonstranten im Januar in Barcelona Bild: EPA

Im Lager der Unabhängigkeitsbefürworter findet derzeit eine Grundsatzdebatte statt. Über den weiteren Kurs der Bewegung scheint Uneinigkeit zu bestehen: Soll man sich auf die Forderungen Madrids einlassen – oder nicht?

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          Wörtlich übersetzt klingt der spanische Begriff drastisch. In Barcelona ist seit Tagen von „Tiempo muerto“, toter Zeit, die Rede. Wörterbücher schlagen als Übersetzung Stillstand oder Auszeit vor. Auch das beschreibt das politische und juristische Vakuum treffend, das in Katalonien herrscht, seit am Dienstag der Parlamentspräsident in letzter Minute die Wahl eines neuen Regierungschefs auf unbestimmte Zeit vertagt hat. Das sei „das Ende“, schrieb Carles Puigdemont in einer privaten Textnachricht am Abend des Tages. Er hatte vergeblich darauf gehofft, dass ihn das Parlament am Dienstag zum neuen Regionalpräsidenten wählen würde.

          Hans-Christian Rößler
          Politischer Korrespondent für die Iberische Halbinsel und den Maghreb mit Sitz in Madrid.

          „Die privaten Botschaften Puigdemonts sind doch nur Anekdoten. Sie bedeuten nicht das Ende der Unabhängigkeitsbewegung“, sagt Vicent Partal. Der Gründer und Chefredakteur des größten katalanischen Online-Portals „Vilaweb“ steht den Separatisten nahe. Für viel gravierender hält Partal den Bruch, der sich im Lager der Befürworter der katalanischen Unabhängigkeit abzeichnet, sowie die Grundsatzdebatte, die dort begonnen hat.

          Unter den Linksrepublikanern (ERC), der zweitstärksten separatistischen Partei im Regionalparlament, wächst die Ungeduld mit Puigdemont. Der neue ERC-Parlamentspräsident Roger Torrent hat den nach Brüssel geflohenen Politiker als einzigen Kandidaten nominiert. Am Dienstagmorgen setzte er überraschend seine Wahl aus – angeblich, ohne vorab die Führung von Puigdemonts Wahlliste und die radikale CUP-Partei zu informieren. Man warte immer noch auf die „Zauberformel“, mit der Puigdemont wieder ein richtiger Regierungschef werden könne, obwohl er seit dem vergangenen Oktober in Belgien ist, heißt es in der ERC. „Wir brauchen eine handlungsfähige Regierung, die von Anfang an regieren kann“, sagt ERC-Generalsekretärin Marta Rovira. Für die Führung ihrer Partei, ist klar, dass das weder aus dem belgischen Exil noch aus dem Gefängnis möglich ist.

          Der ERC-Vorsitzende Oriol Junqueras, der in Madrid in Untersuchungshaft sitzt, schlug am Donnerstag in einem Interview als Ausweg vor, Puigdemont in Brüssel „symbolisch“ zu einer Art katalanischen Präsidenten zu ernennen und das Parlament in Barcelona gleichzeitig einen Regierungschef wählen zu lassen, der die politischen Geschäfte führen könne. Die ERC bemüht sich erkennbar, nach dem massiven Eingreifen der spanischen Zentralregierung wieder auf den Boden des geltenden Rechts zurückzukehren. Bis im vergangenen Oktober schreckte die Partei nicht davor zurück, die Verfassung und die Urteile des Verfassungsgerichts zu ignorieren. Der ERC trieb mit den Anhängern Puigdemonts und der CUP-Partei die katalanische Unabhängigkeit voran. Jetzt ist die Partei dabei, einen Weg einzuschlagen, wie ihn die Baskische Nationalpartei (PNV) schon seit einiger Zeit beschreitet: Sie setzt sich weiter für die Anerkennung der „baskischen Nation“ und mehr Rechte ein, aber nicht mehr für die Unabhängigkeit.

          „Rückkehr zum Konsens“

          „Der Nebel muss sich erst lichten. Aber der Prozess ist noch nicht zu Ende. Wichtig ist, dass politisch wieder Vertrauen entsteht und der Rechtsstaat eingehalten wird“, sagt Albert Peters, der Vorsitzende des „Kreises Deutschsprachiger Führungskräfte“ in Barcelona; das Wort „Prozess“ fasst in Katalonien die separatistischen Bemühungen zusammen. Der aus Deutschland stammende Wirtschaftsberater beobachtet nicht nur unter den Separatisten neue Risse, sondern auch innerhalb Puigdemonts Partei „Junts per Catalunya“.

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