Wolodymyr Selenskyj : „Es ist ihr Gewissen, mit dem sie leben müssen“
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Wolodymyr Selenskyj am 19. Februar auf der Münchner Sicherheitskonferenz Bild: dpa
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj beklagt auf der Münchner Sicherheitskonferenz, sein Land werde in Sachen NATO-Beitritt hingehalten. Über Deutschland wird kritisch gesprochen.
Wolodymyr Selenskyj trägt eine schwarze Krawatte zum dunklen Anzug; ernster kann der Auftritt eines Staatspräsidenten auf einer internationalen Konferenz nicht wirken. Der ukrainische Staatschef will nicht ein Teil des üblichen Betriebs und Getriebes sein, wie es auch im Ballsaal des Bayerischen Hofes herrscht, der Hauptbühne der Münchener Sicherheitskonferenz. Er wolle eine Weile warten, sagt Selenskyj in den aufgeregten Saal hinein, „weil ich von Anfang an verstanden werden will“. In die Stille hinein stellt er dann fest, sein Land, die Ukraine, sehne sich nach Frieden, Europa sehne sich nach Frieden. Russland behaupte, es wolle nicht angreifen – „irgendjemand lügt hier“, stellt er fest.
Selenskyj beginnt würdevoll. Er erzählt von den Kindern an der Konfrontationslinie zu den Separatisten-Gebieten im Osten, die zwischen frischen Granaten-Kratern zur Schule gehen müssen. Er spricht russische Explosionen und Provokationen an und verspricht, die Ukraine werde sich nicht provozieren lassen. Dann versucht er, das Publikum, die Politiker und die Generäle aus aller Herren Länder mit hineinzuholen in das Schicksal, das seinem Land womöglich droht.
„Brüchig und obsolet“
Die internationale Sicherheitsarchitektur sei „brüchig und obsolet“ geworden, sagt er. Die Vereinten Nationen könnten ihre eigene Charta nicht mehr verteidigen gegen die Verletzungen, die ihr eines der Ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates zufüge. Ein neues Sicherheitssystem müsse entstehen, verlangt der ukrainische Präsident und erinnert daran, dass sein Land vor 25 Jahren auf alle sowjetischen Atomwaffen verzichtete und dafür eine Sicherheitsgarantie von Russland, Amerika und Großbritannien bekommen habe.
Stattdessen aber werde die Ukraine acht Jahre nach der ersten russischen Aggression noch immer hingehalten, noch immer gebe es keine eindeutige Bereitschaft, ihr einen Beitritt zur Europäischen Union oder eine Mitgliedschaft in der NATO zu ermöglichen. Jetzt spricht Selenskyj bitter. Die NATO spreche stets von ihrer „offenen Tür“. Was die Ukraine aber brauche, seien offene und ehrliche Antworten. Wörtlich sagte er: „Wir brauchen ehrliche Antworten.“ Und er sagt deutlich, sein Land wolle nicht für immer „der Puffer zwischen Russland und dem Westen“ sein. Eine solche Rolle hatte kurz zuvor der chinesische Außenminister Wang Yi der Ukraine nahegelegt, er hatte dem Münchener sicherheitspolitischen Publikum vorgeschlagen, die Ukraine könne sich doch als „eine Brücke“ zwischen Russland und dem Westen verstehen.
Selenskyjs Auftritt bei der Konferenz ist nur eine Facette weit gespannter diplomatischer Bemühungen von Kiew. Eine regelrechte diplomatische Luftbrücke war zwischen Kiew und München errichtet worden, um vor der versammelten diplomatischen und politischen Elite des Westens Solidarität einzufordern. Außenminister Dmytro Kuleba war ebenso nach München geflogen, wie der ukrainische Verteidigungsminister und der Befehlshaber der ukrainischen Armee. Am Samstagmittag versammelten sich bei einem „Ukraine-Dinner“ ein Dutzend europäische Außenminister, amerikanische Senatoren, Abgeordnete aus zahlreichen Parlamenten zu einer Diskussion am Lenbach-Haus, die zu einer Art Solidaritätsveranstaltung für das Land wurde.