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Russlands Präsident Putin : Der müde und einsame Paria

Die führenden G7-Staaten stehen Russland weiter kritisch gegenüber Bild: AP

Wladimir Putin muss sich auf dem G-20-Gipfel in Brisbane einige Anfeindungen gefallen lassen – nicht zuletzt vom Gastgeber selbst. Er reist zeitig ab, gibt aber nicht klein bei.

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          Neun Stunden Zeitverschiebung, Tage voller Konferenzen auf dem Gipfel der führenden Wirtschaftsnationen (G20) – und dann spät abends noch ein ganz dickes Brett zu bohren: Angela Merkel traf sich in der Nacht zum Sonntag mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin im Hilton Hotel in Brisbane. Nach rund zwei Stunden stieß dann auch noch Jean-Claude Juncker hinzu, der Präsident der Europäischen Kommission. Fast hatte man den Eindruck, Putin freute sich, dass in Brisbane überhaupt jemand mit ihm sprach. Denn bei fast 40 Grad Hitze schlug dem Russen ein eiskalter diplomatischer Wind entgegen.

          Christoph Hein
          Wirtschaftskorrespondent für Südasien/Pazifik mit Sitz in Singapur.

          Mehr oder weniger genüsslich ließen die westlichen Regierungschefs ihre Ablehnung durchblicken „Ich denke mal, ich gebe Ihnen die Hand, aber ich habe Ihnen nur eines zu sagen: Sie müssen aus der Ukraine verschwinden“, sagte der kanadischen Ministerpräsident Stephen Harper angeblich zu Putin – was Harpers Sprecher dann gleich twitterte. Was er nicht twitterte: Putin soll trotz seines Schlafdefizits schlagfertig geantwortet haben, er könne die Ukraine gar nicht verlassen, weil er nicht dort sei. Kaum etwas hilft in diesen Tagen der Konfrontation innenpolitisch so, wie auf Distanz zu Paria Putin zu gehen.

          Am deutlichsten versuchte das Tony Abbott, der australische Premierminister. Die Australier richten in diesem Jahr den G-20-Gipgfel aus, bevor in den nächsten Jahren erst die Türkei und dann China an der Reihe ist. Der auf internationalem Parkett noch völlig unerfahrene Abbott wollte Putin erst schlicht und einfach von dem Gipfel verbannen – was nicht in seiner Macht liegt. Dann verkündete er, sich Putin „vorknöpfen“ zu wollen. Er weiß, dass solche Töne gut ankommen, denn seine Landsleute trauern noch um die Opfer des über der Ukraine abgeschossenen Flugzeuges von Malaysia Airlines am 17. Juli. Die australischen Medien spielten die Begleitmusik mit Karikaturen, Fotomontagen und wilden Gerüchten. Als Abbott dann aber auf Putin traf, gab er sich gezwungenermaßen als ordentlicher Gastgeber.

          Auch Barack Obama pflegte einen normalen Umgang mit seinem russischen Gegenüber. Er habe ihn mehrfach in Peking auf dem Gipfel der Pazifikanrainer (Apec) zu Wochenbeginn und nun beim Treffen der G20 getroffen, sagte der amerikanische Präsident. Die Begegnungen seien geschäftsmäßig, aber offen verlaufen, sagte Obama. Er habe Putin privat dasselbe gesagt wie er es öffentlich gesagt habe.

          Nur Angela Merkel, die über das Wochenende mit Abstand am längsten mit Putin sprach, sagte hinterher wenig. Vorher hatte sie – spürbar genervt von gut 30 wohl eher ergebnislosen Telefonaten zwischen Berlin und Moskau – noch erklärt: „Ich verspreche mir jetzt keine qualitativen plötzlichen Veränderungen.“ Sie sprach von „geopolitischen Spannungen“, die das Wachstum belasteten und verkündete, 19 der G-20-Länder wollten „das diplomatisch Mögliche“ tun, um die Nummer 20 endlich zur Ordnung zu rufen.

          „Niemand macht Druck“

          Brücken über die tiefe Gräben zu bauen, scheint ein zähes Geschäft zu werden. Während Merkel sich ausschwieg, sprach Putins Sprecher Dmitri Peskow. Er erklärte, in „allen bilateralen Gesprächen sind Sanktionen aktiv und breit besprochen worden, aber niemand macht Druck“. Das allerdings sagte Peskow, bevor in Brisbane Obama und der britischen Regierungschef David Cameron an die Mikrofone traten. „Russland hat die Möglichkeit, seine Richtung zu ändern“, sagte Obama nüchtern. Er werde der erste sein, der für die Aufhebung von Sanktionen einträte, wenn Putin einlenke. „Der russische Präsident verletzt internationales Recht, Abkommen, denen er gerade erst zugestimmt hat“, kritisierte der amerikanische Präsident. „Man marschiert nicht in andere Länder ein.“ Momentan plane er zwar keine Verschärfung, sagte Obama: „Derzeit greifen die Sanktionen, die wir anwenden, ziemlich gut. Wir behalten uns aber unsere Möglichkeit vor. Und wir haben unsere Leute, die fortwährend Mechanismen untersuchen, die den Druck verstärken können, wenn wir es brauchen.“

          Schon zum Auftakt des Gipfels am Samstag hatte die Europäische Union mit neuen Sanktionen gedroht. Cameron erklärte, ein fortgesetzter Konflikt in der Ukraine stelle eine schwerere Belastung für die Welt dar als das Fortführen der Sanktionen.

          Während Obama sprach, startete das russische Präsidentenflugzeug

          Während Obama sprach, übertrug das Fernsehen den Start des russischen Präsidentenflugzeugs. Es hob zu genau dem Zeitpunkt ab, zu dem eigentlich die Kanzlerin aus Brisbane mit ihrem Tross losfliegen wollte. Merkel und ihre Piloten stellten sich auf dem Rollfeld hinten an. Der russische Präsident war in Brisbane sichtbar in der Defensive. Zeitungen druckten Bilder, auf denen er allein am Tisch saß als Zeichen seiner Isolierung. Angesichts des Gegenwindes blieb dem russischen Präsidenten nur, mit einer Spaltung des G20-Bundes zu drohen: „In der G20 hat sich eine gewisse Balance von Kräften herausgebildet. Auf der einen Seite die führenden sieben Staaten (G7) auf der anderen die großen Schwellenländer (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) und einige assoziierte Länder.“

          In der Tat hielt sich China, das bislang am meisten von der wachsenden Isolierung Russlands profitiert, etwa durch Lieferverträge für Rohstoffe, in Brisbane mit jedem öffentlichen Kommentar zurück. Als der Druck zu groß wurde, hieß es aus der russischen Delegation, ihr Präsident könne auch früher abreisen.

          Das rief am Ende Verwirrung hervor, als Putin dann tatsächlich als einer der ersten den Gipfel verließ – mit der Entschuldigung, angesichts des Arbeitspensums und des achtzehnstündigen Rückfluges nach Moskau schlafen zu wollen, um Montag wieder am Schreibtisch zu sitzen.

          Am Montag wollen sich die Außenminister der Europäischen Union in Brüssel treffen, um dort über die Ukraine-Krise zu verhandeln. Vor seiner Abreise ließ es sich Putin nicht nehmen, die „konstruktive Atmosphäre der Gespräche in Brisbane noch zu loben.“ Gelächelt hat er nicht dabei.

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