Wie Georgien zum Experimentierfeld Russlands wurde
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Stacheldraht, Schild – fertig ist die Grenze: eine Demarkationslinie in Georgien Bild: AFP
Europa hat Russlands Konfrontationsbereitschaft lange Zeit unterschätzt. Das zeigt sich in Georgien, wo vor zehn Jahren ein Konflikt begann, der bis heute andauert – und als Modell für den Ukraine-Konflikt dient.
Churwaleti ist so klein, dass es auf kaum einer Landkarte verzeichnet ist. Das Dorf besteht aus einer Handvoll ärmlicher Häuser inmitten malerisch verwildernder Obstgärten, seine Straßen sind unbefestigte Feldwege, es hat keine Kirche, keine Schule und keinen Laden. Am oberen Ortsrand stößt man auf eine fast mannshohe Stacheldrahtsperre. Sie schneidet die Bewohner des Dorfes von einem großen Teil ihrer Felder und Weiden ab, und sie trennt einen alten Mann und seine kranke Frau vom Rest der Welt. Die beiden können nicht mehr in das Dorf gehen, zu dem ihr Haus seit je gehört, ihre Tochter kann sie nicht mehr besuchen, kein Arzt kann zu ihnen kommen, die Nachbarn können nicht mehr bei ihnen nach dem Rechten sehen. Die Leute aus dem Dorf versorgen die beiden Alten, indem sie Lebensmittel über den Zaun werfen.
Churwaleti liegt an der Front eines Krieges, der nicht beendet ist, auch wenn seit zehn Jahren nicht mehr geschossen wird. Unmittelbar hinter dem Ort beginnt Südossetien, wo im August 2008 der Fünf-Tage-Krieg zwischen Russland und Georgien entbrannt ist. Der Stacheldraht markiert die Grenze zwischen dem von der georgischen Regierung kontrollierten Gebiet und dem Teil des georgischen Territoriums, das von Russland beherrscht wird. Der Zaun wurde von den Russen errichtet – freilich erst einige Jahre nach dem Krieg und auch nicht dort, wo einmal die Verwaltungsgrenze des Autonomen Gebiets Südossetien war. So etwas ist in den vergangenen Jahren nicht nur in Churwaleti passiert: Immer wieder verschieben russische Truppen die Grenze des von ihnen beherrschten Territoriums um einige Dutzend Meter nach vorn, befestigen sie mit Stacheldraht oder festen Metallzäunen und stellen Schilder auf: „Achtung Staatsgrenze! Durchgang verboten!“
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