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Moskaus Vorgehen gegen Medien : Russland erklärt Medium „Medusa“ als „unerwünscht“

Galina Timtschenko, die Gründerin des Mediums „Medusa“ Bild: obs

Das wichtigste russischsprachige unabhängige Medium wird faktisch verboten. Schläge gegen weitere Medien sind zu erwarten.

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          Wladimir Putins wichtigste Waffe ist die Kontrolle über das Weltbild der Russen, in dem der Angriff zur Verteidigung wird und der Präsident gezwungen war, seine „Spezialoperation“ zu beginnen. Je mehr Opfer der Krieg fordert, desto wichtiger wird diese Kontrolle. Zu der schon im vergangenen März eingeführten faktischen Militärzensur kommt jetzt ein Schlag gegen das wichtigste unabhängige russischsprachige Medium, „Medusa“: Die Generalstaatsanwaltschaft hat dessen lettische Betreibergesellschaft als „unerwünscht“ eingestuft. Damit drohen Mit- und Zuarbeitern von „Medusa“ Lagerhaftstrafen, auch Spendern, die das entsprechend finanzierte Projekt unterstützen. Auch, wer bloß Links auf die Website, Meduza.io, verbreitet oder verbreitet hat, läuft Gefahr, verfolgt zu werden.

          Friedrich Schmidt
          Politischer Korrespondent für Russland und die GUS in Moskau.

          Seit dem vergangenen Jahr ist „Medusa“ in Russland nur noch per VPN-Umweg aufzurufen, wie zahlreiche andere Websites, weshalb die Machthaber einen zähen Kampf gegen die Anbieter solcher Dienste führen. Schon im April 2021 war „Medusa“ als „ausländischer Agent“ eingestuft worden; das ist die erste Stufe der Moskauer Verfolgungsskala. Überhaupt veranschaulicht das Medium die Abwärtsspirale von Russlands unabhängigem Journalismus: Die Gründerin und Generaldirektorin von „Medusa“, Galina Timtschenko, war zehn Jahre Chefredakteurin von „Lenta.ru“ und baute dieses Newsportal zum seinerzeit führenden unabhängigen Anbieter auf.

          Bis zum Frühjahr 2014: Wegen der Berichterstattung im Ukraine-Konflikt entließ der Eigentümer Timtschenko. Mit ihrer Abfindung, Investoren und einem Gutteil der Belegschaft von „Lenta.ru“ gründete sie im Herbst 2014 „Medusa“ mit Sitz in der lettischen Hauptstadt Riga. Neben knapp und sachlich aufbereiteten Nachrichten bietet „Medusa“ Reportagen, Analysen, auch Unterhaltsames und Podcasts. Den Ukrainekrieg nennt das Medium so, berichtet über Zerstörungen und Tote.

          Die Redaktion verspricht, weiterzumachen

          Die Generalstaatsanwaltschaft teilte am Donnerstag mit, die Tätigkeit von „Medusa“ bedeute „eine Gefahr für die Grundlagen der Verfassungsordnung und der Sicherheit“ Russlands. Das Justizministerium hat die Betreibergesellschaft nun in sein Register „unerwünschter Organisationen“ aufzunehmen. Danach stellen Verbindungen zu „Medusa“ zunächst Ordnungswidrigkeiten, im Wiederholungsfall Straftaten dar, die mit Lagerhaft bestraft werden können. Schon seit dem vergangenen Frühjahr nimmt „Medusa“ keine Zahlungen mit russischen Karten mehr an, hofft daher, dass seine Spender geschützt sind. Das Portal und Medienrechtler raten Lesern, alle Links auf „Medusa“-Material zu löschen, auch, wenn sie schon lange auf Profile in sozialen Medien prangen sollten.

          „Medusa“ ist das vierte russischsprachige Medium, das als „unerwünscht“ faktisch verboten wird. Zuvor traf es die Investigativmedien „Projekt“ (Juli 2021), „Waschnyje Istorii“ („Wichtige Geschichten“, März 2022) und „The Insider“ (Juli 2022). Seit dem vergangenen Jahr ebenso faktisch in Russland verboten sind auch die internationalen Rechercheprojekte „OCCRP“ und „Bellingcat“, deren Enthüllungen ebenfalls oft Russlandbezüge aufweisen, etwa zum Abschuss von MH17 oder Vergiftungsfällen.

          Man fürchte um seine Leser, Mitarbeiter, Verwandte und Freunde, teilte „Medusa“ nun mit. „Nichtsdestoweniger glauben wir an das, was wir tun“, an die „Freiheit des Wortes“, an ein „demokratisches Russland“. Je größer der Druck, desto stärker werde man widerstehen. Man werde weiter arbeiten, versprach die Redaktion und appellierte an ihre Leser, etwaige Ängste zu überwinden: „Russland wird frei sein.“ Zunächst indes ist zu vermuten, dass dem neuen Schlag gegen „Medusa“ weitere gegen andere Medien folgen. Denn schon auf seine Einstufung als „Agent“ waren zahlreiche weitere gefolgt.

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