Russischer Bombenterror : Putins Strategie: „Cholodomor“ – „Tod durch Kälte“
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Ein Mann im ukrainischen Ort Borodjanka repariert sein vom Krieg zerstörtes Zuhause. Bild: Getty
Putin will die Ukraine in eine neue Eiszeit bomben. Jetzt kommt der Frost, und wenn nicht schnell Hilfe kommt, müssen vielleicht Millionen fliehen. Das Land braucht drei Dinge: Transformatoren, Generatoren, Flugabwehr. Es geht um Tage.
In der Ukraine wird es um diese Zeit sehr kalt. Im November liegt die durchschnittliche Mindesttemperatur in Kiew noch knapp über dem Gefrierpunkt, im Dezember fällt sie ab: auf minus 3,8 Grad und dann im Januar auf minus 5,8.
Russland gewinnt damit eine tödliche Waffe. Mehr als die Hälfte der Haushalte in der Ukraine hängen an den verzweigten Fernwärmenetzen, deren Röhren die Trabantenstädte prägen. Was passiert, wenn eine Rakete die Pumpstation trifft oder das Kraftwerk dahinter, beschreibt eine Sprecherin des deutschen Entwicklungshilfeministeriums so: „Wenn bei Frost die Pumpen keinen Strom haben und das Wasser gefriert, können die Fernwärmeleitungen platzen.“
Dann kann ein ganzes Wohnviertel unbewohnbar werden – für Tage, vielleicht Wochen. Henri Kluge, Regionaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Europa, hat unlängst gesagt, Stromausfälle könnten zu einer Frage „von Leben und Tod“ werden. Viktoria Wojzizka vom Centre for Ukrainian Victory meint: „Eine Stadt wie Kiew wird dann zur Geisterstadt.“
„Cholodomor“ – „Tod durch Kälte“
Für diese Art von Kriegführung ist gerade ein neues Wort geprägt worden: „Cholodomor“. Andrij Jermak hat es unlängst verwendet, der Kanzleichef Präsident Wolodymyr Selenskyjs. Es ist eine Variation von „Holodomor“, was auf Ukrainisch „Tod durch Hunger“ heißt und die künstliche Hungersnot beschreibt, durch die Josef Stalin vor neunzig Jahren vier Millionen Ukrainer ermordete. Durch den Austausch eines einzigen Lautes wird daraus die Strategie Wladimir Putins: „Cholodomor“ – „Tod durch Kälte“.
Falls es Russland wirklich gelingen sollte, die Ukraine in die Eiszeit zu bomben, gäbe es für sehr viele Ukrainer nur einen Ausweg: die Flucht. Ministerpräsident Denys Schmyhal hat davor gewarnt. „Wenn es in der Ukraine keinen Strom, keine Heizung, kein Wasser mehr gibt, kann das einen neuen Migrations-Tsunami auslösen“, sagte er dieser Zeitung vor einigen Wochen. Russland wolle „eine neue Flüchtlingskrise in der EU“.
Bis zu zehn Millionen neue Flüchtlinge
Wie viele Menschen sich dann auf den Weg machen würden, wollte Schmyhal nicht sagen, aber Kluge von der WHO befürchtet allein für die Binnenmigration innerhalb der Ukraine einen Zuwachs von zwei bis drei Millionen Menschen – zusätzlich zu einem „Exodus“ ins Ausland. Viktoria Wojzizka meint, die Gesamtzahl könne im schlimmsten Fall bei fünf bis zehn Millionen liegen.
Es muss allerdings so weit nicht kommen, und Deutschland kann helfen. Ihor Schowkwa, der außenpolitische Berater des ukrainischen Präsidenten Selenskyj, hat der F.A.S. drei Dinge genannt, die unbedingt nötig wären, um Putins Strategie zu durchkreuzen. Erstens: „Mehr Flugabwehrsysteme und mehr Munition.“ Was Deutschland schon geschickt habe – das Raketensystem IRIS-T und der Flakpanzer Gepard –, arbeite zwar wunderbar, „aber wir brauchen mehr“.
Mittel zwei und drei betreffen das Stromnetz: „Wir brauchen Hochspannungstransformatoren“, sagt Schowkwa, um die zerschossenen Umspannwerke zu reparieren, sodass von den Kraftwerken wieder Strom zu den Menschen kommt, „und wir brauchen Generatoren, um bei Stromausfall Reserven zu haben.“
Aus der Bundesregierung kommt dazu das Signal: Wir haben verstanden. Zumindest was die großen Linien des russischen Krieges gegen die Ukraine betrifft. Entwicklungsministerin Svenja Schulze von der SPD sagte der F.A.S., Moskau ziele „mit der brutalen Zerstörung der ukrainischen Energie-Infrastruktur auf die Lebensadern des Landes“. Viele Familien lebten jetzt schon „bei klirrender Kälte in Notunterkünften. Putins „menschenverachtendes Kalkül“ sei, durch „Kälte und Dunkelheit“ die „Kampfmoral“ der Leute zu brechen.