Londons Brexit-Probleme : Den Finger in die Wunde
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Wie weiter mit den Austrittsverhandlungen zwischen Großbritannien und der EU? Auf diese Frage scheint die Londoner Regierung noch keine klare Antwort zu haben. Bild: AFP
Der Rücktritt des britischen EU-Botschafters zeigt die Defizite von Theresa Mays Strategie. Wo sind überzeugende Konzepte und fähige Leute für den Brexit?
Wenn ein Diplomat auf einem wichtigen Posten mit „seiner“ Regierung über Kreuz liegt, dann ist in der Regel der „Rücktritt“, das Ausscheiden aus dem Dienst, oder die Versetzung fällig. Und so ist es vordergründig auch keine Überraschung, dass der britische EU-Botschafter Ivan Rogers, der der Regierung Ihrer Majestät offenbar schon einige unangenehme Wahrheiten gesagt hat, jetzt seinen Abschied nimmt; er hatte ohnehin vor, seinen Posten in Brüssel im Herbst zu verlassen. Aber das wäre dann mitten in den Brexit-Verhandlungen gewesen. Womit wir beim eigentlichen Thema wären.

Redakteur in der Politik.
Denn die Personalie Rogers und die Abschiedsworte, die der scheidende Botschafter an seine Mitarbeiter gerichtet hat, legen den Finger auf die Brexit-Wunde – aber anders, als es die Befürworter des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU gerne hätten. Denn denen hält Sir Ivan „verworrenes Denken“ vor. Und im Regierungsapparat vermisst er fähige und erfahrene Leute in hinreichender Zahl, welche die Verhandlungen über den Austritt aus der EU bewältigen könnten.
Man muss sich schließlich immer vergegenwärtigen, dass nicht weniger als drei Verhandlungen mehr oder weniger gleichzeitig geführt werden: die über den Austritt, die über die künftigen (Handels- und Wirtschafts-)Beziehungen zwischen Britannien und der EU und die über die Regeln für die Übergangsphase. Mit ein paar Junior-Diplomaten lässt sich das kaum bewerkstelligen, soll das Ergebnis doch beide Seiten materiell und politisch halbwegs zufriedenstellen.
Rogers’ Mahnung macht deutlich, dass die Regierung May sich über ihre Ziele – und damit über die angemessene Verhandlungsstrategie – noch immer nicht im Klaren lässt; dass an führender Stelle Leute sitzen, die keinen Schimmer von den Mechanismen und Regeln der EU haben („Acquis“), dafür aber diesen Mangel mit der Überzeugung überkompensieren wollen, dass die EU-freie Zukunft das Land direkt ins souveräne Paradies führen werde. Das war ja auch schon vor und nach der Brexit-Abstimmung im vergangenen Juni zu erkennen: Erst malten die Herolde des Austritts Phantasiegemälde an die Wand, danach, als die Mehrheit der Wähler ihnen gefolgt war, gingen sie erst einmal auf Tauchstation. Weil sie ahnten, dass das Spiel im Traum noch zum realen Albtraum werden könne?
Keine Frage: Die Brexit-Entscheidung war und ist legitim. Wenn eine Mehrheit der Wähler dafür ist, dann ist es eben so. Und dann muss die Regierung das Beste daraus machen. Aber diese Regierung hat nicht viel an europapolitischer Kompetenz anzubieten; einige ihrer Mitglieder wirken schon jetzt in der Sache überfordert.
Böse Stimmen sagen, Inkompetenz habe dem Aufstieg der Premierministerin May bislang nicht im Wege gestanden. Jedenfalls ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, dass die Briten für eine ebenso riskante wie, von deren Ende her betrachtet, letztlich desaströse Entscheidung des früheren Premierministers Cameron einen ziemlich hohen Preis zahlen müssen.