Eine Stadt will nach oben
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Held der akademischen Rechten: Thierry Baudet warnt vor der „homöopathischen Ausdünnung“ des niederländischen Volkes - bei der Jugend kommt das gut an. Bild: action press
Rotterdam stand lange für Arbeitslosigkeit, Kriminalität und das Scheitern der Integration. Vieles läuft heute besser, doch die Populisten sind weiter erfolgreich. Das könnte sich bei der Kommunalwahl heute bestätigen.
Vielleicht ist das ein Stück vom alten Rotterdam. Der „Schwarze Schwan“ ist eine Eckkneipe im Süden der Stadt, ein paar Straßen vom Fußballstadion von Feyenoord entfernt. Die Holzfassade ist schwarz gestrichen, die Fenster etwas abgedunkelt. In der Wand hinter dem Tresen ist das Logo der Biermarke Heineken eingelassen, davor steht die Wirtin. Sie hat die Zigarette im Mundwinkel, in der einen Hand den Zapfhahn, in der anderen zwei Gläser, die sie langsam volllaufen lässt. Eins für Eric, eins für Roland, die stehen auf der anderen Seite des Tresens. „Rotterdam verändert sich jeden Tag“, sagt Roland. Sind die Einwanderer das Problem? Der ehemalige Hafenarbeiter Roland schlägt die Hand in die Luft. „An die haben wir uns gewöhnt.“ In Rotterdam ist der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund schon seit Jahrzehnten besonders hoch. Nein, die beiden stören viel mehr die jungen Familien, die kommen und Tiefgaragenplätze wollen, die höhere Mieten zu zahlen bereit sind. Die Fahrräder in den Hausflur stellen und nicht mehr grüßen. „Das sind Leute, die so gehen“, sagt Eric und reckt dabei die Nase in die Höhe. „Halten sich für was Besseres.“ – „Das ist die Gentrifizierung“, antwortet Roland. Dieses Wort, das vielen Großstädten schneller über die Lippen geht als „Wohnungsknappheit“, klingt aus seinem Mund fremd. Wie eine Krankheit, die Rotterdam befallen hat. Mit der Veränderung geht aber auch einher, dass die Kriminalität gesunken ist und die Arbeitslosigkeit abnimmt. Sie sind stolz, dass sich die Stadt neu erfindet, dass Touristen aus aller Welt kommen, um das zu sehen. Der 52 Jahre alte Eric sagt: „Es geht nur alles etwas zu schnell.“
Aus dem Schmuddelkind der Niederlande ist Rotterdam innerhalb von ein paar Jahren zu einer Stadt geworden, die der Reiseführer „Lonely Planet“ Europareisenden als „Must see“ empfiehlt. Eine Stadt, die für moderne Architektur, moderne Kunst und eine kleine, aber wachsende Start-Up-Szene steht. Dass es dazu mal kommen würde, hätte vor 16 Jahren keiner geahnt. Da erklärte der Professor und Publizist Pim Fortuyn in seiner Heimat Rotterdam der „Multi-Kulti-Lüge“ den Kampf, sprach Probleme bei der Integration und der Sicherheit an und gründete eine rechtspopulistische Partei, die später zu „Leefbar Rotterdam“ wurde. Bei der Kommunalwahl 2002 erreichte sie 35 Prozent der Stimmen. Ein Schock ging durch das ganze Land. Rotterdam, vorher fest in der Hand der Sozialdemokraten, galt nun als Stadt der Populisten. Der Erfolg gab der von Fortuyn formulierten Forderung Nachdruck, Probleme bei der Integration offen anzugehen. Ein Umdenken begann – im ganzen Land, besonders aber in Rotterdam. Fortuyn wurde kurz nach der Wahl 2002 von einem Umweltextremisten erschossen. Die Rechtspopulisten von „Leefbar“ gingen ohne ihren Anführer in eine Koalition mit Liberalen und Christdemokraten. Sie sind seitdem fester Bestandteil der politischen Auseinandersetzung. Wenn an diesem Mittwoch in den Niederlanden in den 355 Gemeinden Kommunalwahlen sind, richtet sich ein besonderer Fokus auf Rotterdam. Es ist die Stadt der Extreme, in der viele Probleme hart aufschlagen, in der sich politische Entwicklungen aber besonders früh abzeichnen.
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