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Rentenreform in Frankreich : Selbst in den Rathäusern wird gestreikt

„Länger arbeiten, dazu sagen wir Nein“: Ein Plakat von Gewerkschaftern am Dienstag in Paris Bild: dpa

Die Franzosen sollen länger arbeiten. Der Protest dagegen hat vor allem das weite Land erfasst. Die Regierung und die oppositionellen Republikaner werden nervös.

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          Das Pariser Rathaus ist am Dienstag geschlossen geblieben. Die sozialistische Bürgermeisterin Anne Hidalgo bezeichnete das als Akt der Solidarität mit der Protestbewegung gegen die Rentenreform. „Diese ungerechte und brutale Reform ist ein Rückschritt. Wir werden uns mit der systematischen Zerstörung unserer sozialen Errungenschaften niemals abfinden“, twitterte die Bürgermeisterin. In mehreren Hunderten Kommunen haben sich nach den Worten des kommunistischen Parteivorsitzenden Fabien Roussel die Rathäuser den Streikaufrufen angeschlossen.

          Michaela Wiegel
          Politische Korrespondentin mit Sitz in Paris.

          Selbst im streikfreudigen Frankreich ist es ungewöhnlich, dass öffentliche Verwaltungen sich geschlossen einem Ausstand anschließen. Die französischen Nachrichtensender zeigten den ganzen Tag lang Bilder von den Protestmärschen, die insbesondere in mittleren Städten wie Saint-Nazaire, Rennes, Clermont-Ferrand oder Montpellier großen Zulauf erhielten. „Ganz Gallien leistet Widerstand“, titelte die linke Zeitung „Libération“ mit einer Illustration aus Asterix und Obelix. Aus Marseille wurde der linke Wortführer Jean-Luc Mélenchon zugeschaltet, der prophezeite: „Präsident Macron ist dabei zu verlieren“.

          Mélenchons Parteibündnis NUPES hat mehr als 6000 Änderungsanträge in der Nationalversammlung eingereicht. Ziel sei es, das Projekt zu blockieren, sagte die linke Fraktionsvorsitzende Mathilde Panot. Sie unterstützte ausdrücklich Gewerkschaftsaktionen der „Robin Hoods der Energie“, die zahlungsunfähigen Kunden die Elektrizität wieder freischalten oder Radarfallen auf den Autobahnen die Elektrizitätsversorgung kappen. Am Dienstag war der Energiesektor eine der Hochburgen des Streiks. In den Raffinerien des Konzerns Total kam der Betrieb zum Erliegen. Nah- und Fernverkehr wie auch Schulen waren von Neuen von den Streiks besonders betroffen.

          Mitglied von Macrons Partei spricht von „ungerechter Reform“

          Die Regierung agiert zunehmend nervös. Premierministerin Elisabeth Borne hat zwar angekündigt, die Anhebung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre sei „nicht verhandelbar“. In Frankreich weckte sie aber damit Erinnerungen an einen entfernten Vorgänger, Premierminister Alain Juppé. Dieser beteuerte 1995, er werde sich vom Druck der Straße nicht beeindrucken lassen – und zog nach wochenlangen Streiks sein gesamtes Reformprojekt zurück. Auf das Scheitern folgte die Auflösung der Nationalversammlung. Präsident Emmanuel Macron hat nun auf seinem Besuch in den Niederlanden durchsickern lassen, dass er über eine Auflösung der Nationalversammlung nachdenke. Er stellte die Reform als „notwendig“ dar und verwies auf die Rentenregelungen bei den europäischen Nachbarn.

          In der Nationalversammlung hat die Kommunikation der Regierung viele Abgeordnete verschreckt, bis in die Reihen der Präsidentenpartei Renaissance. Die frühere sozialistische Arbeitsministerin Marisol Touraine, die sich Macron angeschlossen hat, kritisierte den Reformentwurf als „zutiefst ungerecht“, besonders für Frauen. Parlamentsminister Franck Riester hat in einem Pressegespräch bestätigt, dass arbeitende Mütter zu den Verliererinnen der Reform zählen. In Frankreich erhalten Mütter für jedes Kind zusätzliche Trimester für die Rentenversicherung angerechnet (8 in der Privatwirtschaft, 4 im öffentlichen Dienst). Doch aufgrund der Anhebung des Mindestalters werden etliche die Freitrimester nicht nutzen können. „Natürlich werden sie ein wenig bestraft, wenn man das gesetzliche Renteneintrittsalter anhebt. Das bestreiten wir nicht“, sagte Riester im Parlamentssender LCP. Riester, ein früheres Mitglied der rechtsbürgerlichen Republikaner (LR), hat mit seiner Äußerung die Verunsicherung in seiner früheren Partei verstärkt.

          Die Präsidentenfraktion ist auf Unterstützung der rechtsbürgerlichen Abgeordneten angewiesen, um die Reform durch das Parlament zu bringen. Der neue LR-Vorsitzende Eric Ciotti hatte etwas vollmundig zugesichert, dass die Regierung auf die Stimmen der Republikaner zählen könne. Doch nun fordern etliche Republikaner, die Reform nachzubessern. Insgesamt 633 Änderungsanträge haben die Republikaner eingereicht. „Je mehr wir uns mit dem Entwurf beschäftigen, umso ernüchterter sind wir“, sagte der LR-Abgeordnete Thibault Bazin. Die Regierung müsse sich kompromissbereiter zeigen.

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