Rede Macrons in Versailles : Die Stunde des republikanischen Monarchen
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Macron kennt Versailles: Im Mai beim Empfang des russischen Präsidenten Putin. Bild: AFP
Kritiker sehen die Rede des französischen Präsidenten an die Nation als Affront gegen seinen Regierungschef Philippe. Doch dieser sieht Macron in einer großen Tradition.
Wenn die Federbüsche auf den Helmen der Garde Républicaine am Montagnachmittag vor dem Schloss des Sonnenkönigs in Versailles flattern, dann schlägt die Stunde des neuen republikanischen Monarchen Emmanuel Macron.
Der 39 Jahre alte Präsident hat just 24 Stunden vor der ersten Regierungserklärung seines Premierministers Edouard Philippe alle Parlamentarier zu einer „Rede an die Nation“ nach Versailles geladen. Das ist ein klarer Verstoß gegen die bisherigen demokratischen Gebräuche. „Amerikanisierung“ stöhnte ein Teil der Presse. Weil Macron den früheren amerikanischen Präsidenten Barack Obama bewundere, wolle er den Franzosen eine „State of the Union“-Rede aufzwingen, meckerte „Le Point“. Im „Le Figaro“ argwöhnten die Kommentatoren noch Schlimmeres: Macron wolle seinen Premierminister von der bürgerlichen Rechten politisch mundtot machen. Damit treibe es der Präsident toller als einst Nicolas Sarkozy. Dieser hatte seinen Premierminister François Fillon einen „Kollaborateur“ geschimpft und ihn damit zu einem gewöhnlichen Mitarbeiter degradiert. Der Premierminister teilte indessen mit, er stehe über dieser Debatte. „Der Präsident hat mich darüber informiert, es ist alles abgesprochen“, sagte er. „Glauben Sie etwas, der General de Gaulle hätte seinen Premierminister um Erlaubnis gefragt, sich an die Nation zu wenden“, fragte der Regierungschef.
Ein Flügel des alten Königsschlosses in Versailles ist für das Parlament reserviert. Das geht auf die Revolutionswirren zurück, als die Generalstände in Versailles tagten. In dem Schloss nahmen 1871 die Abgeordneten der III. Republik nach der Niederlage gegen Preußen und der Ausrufung des Deutschen Reiches im Spiegelsaal ihre Arbeit wieder auf. In dem Prachtbau gibt es weiterhin einen Saal, der groß genug ist, alle Senatoren und Abgeordneten aufzunehmen. Seit den Anfängen der V. Republik 1958 traten die Volksvertreter die Reise in die Königsstadt im Westen von Paris nur an, wenn über Verfassungsänderungen abgestimmt werden sollte – also ausgesprochen selten.
Macron zieht es schon zum zweiten Mal nach Versailles
Der Präsident hatte dort lange nichts zu suchen, genauso wenig wie in der Nationalversammlung. Das geht auf die Furcht der ersten Republikaner zurück, es könne zu einer monarchischen Restauration kommen. Doch Nicolas Sarkozy fand diese Berührungsängste nicht mehr zeitgemäß. Er erhielt im Hochsommer 2008 eine Dreifünftelmehrheit für eine Verfassungsänderung, die es den Präsidenten fortan erlaubt, sich in Versailles (und nur dort) an alle Volksvertreter zu wenden. Der anschließenden Debatte darf er allerdings nicht beiwohnen.
Von diesem neuen Recht haben Macrons Vorgänger nur bedingt Gebrauch gemacht. François Hollande sprach einmal während seiner Amtszeit in Versailles – nach den Terroranschlägen im November 2015 tröstete er die verwundete Nation. Macron aber scheint dem Rederecht eine neue Dimension geben zu wollen. Bereits zum zweiten Mal in seiner noch kurzen Amtszeit – beim ersten Mal empfing er in Versailles den russischen Präsidenten Wladimir Putin – zieht es ihn vor die royale Kulisse. Die harsche Kritik hat ihn dann aber doch überrascht. Der Anführer des „Unbeugsamen Frankreich“, Jean-Luc Mélenchon, nutzte die Gelegenheit, um eine Fronde zu organisieren. Mélenchon und die Abgeordneten seiner Fraktion boykottieren die Sitzung und lassen sich lautstark in den Medien über den Potentaten Macron aus.
Schon zur Eröffnungssitzung der Nationalversammlung hatten sie die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen versucht, indem sie keine Krawatten trugen und dem Präsidenten der Nationalversammlung Respekt und Applaus versagten. Mélenchon motzte zudem, die europäische Flagge müsse aus der Nationalversammlung verschwinden. Aber auch der Vorsitzende der bürgerlich-liberalen Partei UDI, Jean-Christophe Lagarde, wird die Versailles-Veranstaltung boykottieren. Ihm geht es um das Schicksal des Premierministers und um die hohen Kosten. „Das ist eine Beleidigung des Premierministers und kostet zu viel“, sagte Lagarde. Die Kosten für den Nachmittag in königlicher Umgebung belaufen sich laut Paris Match auf eine halbe Million Euro. Macron aber will erläutern, warum dem Land teils auch schmerzhafte Reformen bevorstehen.