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Exodus im Krieg : Tschubajs verlässt Russland

Anatolij Tschubajs im Oktober 2009 in Moskau Bild: dpa

Putins Beauftragter für nachhaltige Entwicklung soll den Krieg gegen die Ukraine abgelehnt haben. Jetzt hat er seinen Posten verlassen und wurde angeblich in der Türkei gesehen. Der Kreml gibt sich unbeeindruckt.

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          Der Exodus auch prominenter Russen, die ihre Heimat verlassen, reißt nicht ab. Mit Anatolij Tschubajs hat nun erstmals ein ranghoher Amtsträger seinen Rücktritt eingereicht; zudem veröffentlichten Medien ein Foto, das zeigen soll, wie der langjährige Funktionär, der zuletzt als Präsident Wladimir Putins Sondervertreter für nachhaltige Entwicklung fungierte, an einem Geldautomaten in Istanbul wartet. Das Newsportal „RBK“ berichtete unter Berufung auf zwei Bekannte des Funktionärs, Tschubajs sei mit seiner Frau nach Istanbul gereist. Er hatte sich nicht öffentlich über den Krieg geäußert. Allerdings hatte er jüngst in sozialen Medien eingestanden, dass sein verstorbener Weggefährte, der Wirtschaftsreformer Jegor Gajdar, Russlands „strategische Risiken besser verstanden hat als ich und dass ich unrecht hatte“.

          Friedrich Schmidt
          Politischer Korrespondent für Russland und die GUS.

          Tschubajs hatte es einst als Russlands Aufgabe bezeichnet, ein „liberales Imperium“ aufzubauen, Gajdar hatte dagegen gewarnt, dass Versuche, Russland neuerlich zu einem Imperium zu machen, gefährlich seien. Das Newsportal „Bloomberg“ berichtete, Tschubajs‘ Ausreise hänge damit zusammen, dass er den Krieg gegen die Ukraine ablehne. Putins Sprecher, Dmitrij Peskow, sagte, Tschubajs habe auf eigenen Wunsch gekündigt. „Ob er ausgereist ist oder nicht, ist seine persönliche Angelegenheit“, sagte Peskow.

          Unter den zigtausenden Russen, die wegen des Krieges und der von Putin ausgerufenen Jagd auf „Nationalverräter“ Russland verlassen haben, sind auch bekannte Persönlichkeiten, so mehrere Journalisten und Künstler. Der 66 Jahre alte Ökonom Tuschbajs ist dagegen ein Vertreter der sogenannten Systemliberalen. Er ist seit 1991 im Staatsdienst, leitete in den Neunzigerjahren die Präsidialverwaltung und soll dorthin damals einen Funktionär geholt haben, den er aus der Sankt Petersburger Stadtregierung kannte: Putin.

          Tschubajs ist jedoch vielen Russen als einer der Urheber der Privatisierungen der Neunzigerjahre verhasst und deshalb seit langem Ziel von Schmähkampagnen. 2005 überlebte er ein Attentat. Tschubajs wäre in der Jagd auf „Nationalverräter“ als einer der unbeliebtesten Politfunktionäre Russlands ein nahe liegendes Ziel. Peskow sagte am Donnerstag, er verstehe nicht, warum dem Rücktritt Tschubajs‘ „so viel Zeit“ gewidmet werde. „Jeden Tag“ kündige in der Präsidialverwaltung jemand und komme jemand neues. Tschubajs sei zudem kein regulärer Mitarbeiter gewesen und habe kein Gehalt bezogen. Davon, dass Tschubajs wegen der Militäroperation in der Ukraine gegangen sei, „ist dem Kreml nichts bekannt“, sagte Peskow.

          Die Systemliberalen wie Tschubajs waren zuletzt einflussreich unter der Präsidentschaft Dmitrij Medwedjews (2008 bis 2012). Seither ist ihr Einfluss stark geschrumpft. Einige Systemliberale sind gar inhaftiert. Ein weiterer ihrer Vertreter, der Vorsitzende des Internationalen Schachverbandes FIDE, Arkadij Dworkowitsch, musste vorige Woche den Vorsitz der Skolkowo-Stiftung abgeben, einer Frucht der Medwedjew-Jahre, die Innovation in Russland fördern soll. Dworkowitsch, ein früherer stellvertretender Ministerpräsident, hatte zuvor den Krieg unter Verwendung dieses Wortes kritisiert, was ihm den Vorwurf des „Nationalverrats“ eintrug.

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