Prozess gegen Peter Steudtner : Wie sicher ist die Türkei für Menschenrechtler?
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Diese Demonstranten protestierten im Oktober 2017 vor einem Gericht in Istanbul gegen den Prozess, der den elf angeklagten Menschenrechtlern gemacht wird. Bild: dpa
Für Urlauber soll die Türkei ein sicheres Land sein – aber auch für Vertreter internationaler Menschenrechtsorganisationen. Das fordern Amnesty International und der deutsche Außenminister Heiko Maas. Nun empfängt er die türkischen Außen- und Tourismusminister.
Was für Urlauber gilt, sollte auch für andere gelten: dass die Türkei ein sicheres Land ist. In der aktuellen Corona-Pandemie wolle die Türkei zwar zeigen, dass sie für Touristen aus Deutschland ein „sicheres Land“ sei und setze sich daher für die Aufhebung der Reisewarnung ein, sagt Markus Beeko, der Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland. Die Türkei sollte aber auch aber für Vertreter internationaler Menschenrechtsorganisationen sicher sein, für Journalisten, Schriftsteller und Anwälte, fordert Beeko weiter.
Wie es um deren Sicherheit tatsächlich bestellt ist, wird sich am Freitag in Istanbul zeigen, wenn das 35. Strafgericht das Urteil im „Büyükada-Prozess“ spricht, also im Prozess gegen elf Menschenrechtler, die im Juli 2017 bei einer Tagung von Amnesty International auf der Insel Büyükada festgenommen worden sind. Eine Verurteilung wäre eine „deutliche Kampfansage der türkischen Regierung an den internationalen Menschenrechtsschutz“, sagt Beeko.
Prozess dauert schon mehr als zwei Jahre
In ihrem abschließenden Plädoyer hat die Staatsanwaltschaft für sechs Angeklagte Haftstrafen bis zu 15 Jahren gefordert und für fünf, unter ihnen den Deutschen Peter Steudtner, Freisprüche. Die Verteidiger halten an diesem Freitag die letzten Schlussplädoyers. Alle elf Angeklagten befinden sich auf freiem Fuß, auch wenn der Prozess gegen sie weiter läuft. Acht sind im Oktober 2017 aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Taner Kilic, der Ehrenvorsitzende der türkischen Sektion von Amnesty International, war mehr als 400 Tage in Untersuchungshaft.
Noch vor der Haftentlassung hatte die Staatsanwaltschaft Anfang Oktober 2017 für alle elf eine Anklageschrift vorgelegt. In ihr versuchte sie den Vorwurf der Unterstützung und Mitgliedschaft in bewaffneten Terrororganisationen zu belegen. Dafür sind jedoch in dem Prozess, der nun länger als zwei Jahre dauert, keine stichhaltigen Beweise vorgelegt worden. Einige „Beweise“ fielen jedoch rasch in sich zusammen.
So hatte die Staatsanwaltschaft ihre Vorwürfe gegen Taner Kilic primär auf die Anschuldigung gestützt, er habe 2014 auf sein Mobiltelefon die App „Bylock“ heruntergeladen, über die sich Mitglieder der Gülen-Bewegung ausgetauscht haben sollen. Zwei Polizeiberichte und vier unabhängige forensische Gutachten haben jedoch bestätigt, dass es dafür keine Anzeichen gebe. Ein geheimer anonymer Zeuge hat der Staatsanwaltschaft den knapp 50 Jahre alten Steudtner, der kurzgeschorene helle Haare trägt, überdies so beschrieben: „Er ist vierzig Jahre alt, hat gelockte schwarze Haare und ist eine Frau.“
Willkür der Behörden zeigt sich auch während Pandemie
In seinem Abschlussplädoyer hatte der Staatsanwalt im vergangenen November eine Haftstrafe von 15 Jahren für Taner Kilic gefordert. Er erklärte aber auch, es lägen ihm keine Beweise für die gegenüber Steudtner und andere erhobenen Anschuldigungen vor. Derselbe Staatsanwalt hatte jedoch aufgrund dieser – nun fehlenden Beweise – im Sommer 2017 für sie Untersuchungshaft angeordnet.
Mit Spannung wird nun am Freitag erwartet, ob das Gericht in derselben Zusammensetzung die Urteile verkünden wird, in der es zuletzt am 19. Februar zu den ersten Abschlussplädoyers der Verteidigung zusammengetreten war. Denn das 35. Strafgericht gilt bislang als professionell und relativ unabhängig.
Am 18. Februar hatte ein anderes Gericht im sogenannten Gezi-Prozess überraschend drei Angeklagte, unter ihnen der Kulturmäzen Osman Kavala, mangels Beweisen freigesprochen. Darauf warfen am folgenden Tag ranghohe Politiker den Richtern vor, sie hätten sich mit dem Urteil schuldig gemacht. Kavala wurde daraufhin umgehend abermals verhaftet und inhaftiert.
Nicht auszuschließen ist, dass das Verfahren am Freitag wieder vertagt wird. Würden auch nur einige der elf verurteilt werden, wäre die Türkei in der über sechzig Jahre alten Geschichte der Menschenrechtsorganisation der erste Staat, der Vertreter von Amnesty International wegen ihrer Menschenrechtsarbeit verfolge, inhaftiere und verurteile, sagt Beeko.
Die Willkür der türkischen Behörden zeigt sich auch bei der aktuellen Corona-Pandemie. So werden Journalisten, Ärzte und Nutzer von sozialen Medien wegen kritischer Äußerungen zur Corona-Krise zur Zielscheibe von Festnahmen und Anklagen. Zudem sind politische Gefangene von den Haftentlassungen explizit ausgenommen. Entlassen wurden jedoch 90.000 kriminelle Gefangene, unter ihnen der Pate der türkischen Unterwelt.