Prozess gegen Breivik : Vor Gericht
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Der Fall Breivik ist kein Grund, um an der europäischen Strafordnung zu zweifeln, die die Todesstrafe ausschließt. Sollte er zurechnungsfähig sein, wird er sich eines Tages seinem Massenmord stellen müssen. Das wird für ihn schwer erträglich werden.
Der Rechtsstaat bewährt sich darin, dass er jedes noch so ungeheuere Verbrechen in seine hergebrachten Kategorien zwingt. Norwegen verweigert dem Massenmörder von Oslo und Utoya somit gerade das, worauf es dieser am meisten angelegt hat: Es gibt keinen Sonderstatus für den Mann, der als Einzelner das größte Verbrechen in der neueren Geschichte des Landes begangen hat und der sich mit wahnsinnigen Argumenten gerade einen Sonderstatus herbeireden wollte und offenbar noch immer will.
Auf den ersten Blick scheint das norwegische Strafrecht nicht für einen Massenmörder gemacht, der 77 Menschen erschossen und unsagbares Leid über seine Mitbürger gebracht hat. Die Höchststrafe ist, im Unterschied zu „lebenslang“ andernorts, auf 21 Jahre Haft begrenzt. Danach ist jegliche Strafe verbüßt, die Schuld formal getilgt; es folgt allenfalls eine Sicherungsverwahrung. Wer kumulierte Strafmaße aus anderen Rechtssystemen vor Augen hat, rechnet unwillkürlich um: 21 Jahre sind in diesem grausigen Fall nur der Bruchteil einer Freiheitsstrafe je ausgelöschtem Menschenleben.
Und trotzdem beweist der norwegische Rechtsstaat in dem gerade erst eröffneten Verfahren seine Grundsatzstärke. Denn das Ende der Suche nach Gerechtigkeit bleibt auch in diesem Fall völlig offen: Hält das Gericht den Angeklagten für voll zurechnungsfähig und damit für voll verantwortlich, dann wird es ihn verurteilen; kommt es hingegen zu der Überzeugung, dass der eingebildete Volksretter unzurechnungsfähig ist, wird es ihn ohne Schuldspruch in eine psychiatrische Anstalt einweisen. Dass zwei gegensätzliche Gutachten über den Geisteszustand des Angeklagten vorliegen, hat die Verantwortung für die Entscheidung über den Schuldspruch wieder in die Hände des Gerichts gelegt; hätten Psychiater das letzte Wort gehabt, so wäre den Opfern - den Toten wie den Überlebenden - nicht wirklich Gerechtigkeit widerfahren, schon gar nicht im hier so wichtigen seelischen Sinne.
Der Fall ist kein Grund, um an der Richtigkeit der europäischen Strafordnung zu zweifeln, die die Todesstrafe ausschließt. Ein Wahnsinniger könnte ohnehin nicht zum Tode verurteilt werden, und ein zurechnungsfähiger Täter wird eines Tages seine vorgeschobene Heldenhaftigkeit verbraucht haben: dann muss er sich sich selbst und seinem Massenmord stellen. Für einen heute Dreiunddreißigjährigen wird das schwer erträglich werden.