Demonstrationen in Iran : Tausende versammeln sich auf Teherans Straßen
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Geschlossen gegen das Regime: der große Basar in Teheran während des Streiks am Dienstag Bild: AP
Das Regime der Islamischen Republik zieht die Schrauben weiter an. Doch es sendet auch widersprüchliche Signale. So darf der frühere Präsident Mohammad Khatami wieder öffentlich auftreten.
Noch immer gehen in Iran Tag für Tag junge Menschen zu Protesten auf die Straße. So auch am Dienstag, dem Jahrestag des Beginns der Proteste von 2019. In Teheran versammelten sich mehrere Tausend Demonstranten an zentralen Plätzen, der Basar blieb geschlossen. Zwar ist der Höhepunkt der Protestwelle, die sich vor zwei Monaten am Tod von Mahsa Amini entzündet hat, wohl überschritten. Doch gerade an Gedenktagen fordern Iranerinnen und Iraner das Regime heraus.
Dennoch scheint das Kalkül der Herrschenden aufzugehen. Zum einen hat das Regime auf Zeit gesetzt und, trotz bislang mehr als 336 Toten, auf ein Blutbad wie bei der Niederschlagung der Proteste vom 14. bis 16. November 2019, als mehr als 1500 Menschen getötet wurden, verzichtet. Zum anderen zieht es die Schrauben an. Mehr als 15 000 Personen wurden festgenommen, die Revolutionsgerichte haben die ersten Todesurteile ausgesprochen.
Überbietungswettbewerb der Hardliner
Und die Repression nimmt weiter zu. Nachdem zuletzt bei einer Reihe von internationalen Sportveranstaltungen die iranischen Nationalmannschaften das Mitsingen der Landeshymne verweigert hatten, forderte nun der einflussreiche Vorsitzende der Gesellschaft der ehemaligen Abgeordneten, Mohsen Kookhan, dass diese Sportler „eliminiert“ werden sollten. Es gebe nichts Einfacheres als das Entfernen eines Sportlers, sagte er.
Im Parlament ging der schiitische Geistliche und Abgeordnete Mousa Ghazanfar-Abadi noch weiter. Der Vorsitzende des Rechtsausschusses beklagte, dass viele, die von der Islamischen Revolution profitiert haben, dieser nun den Rücken kehren. Dazu gehören Sportler ebenso wie Professoren oder bekannte Persönlichkeiten. Selbst unter Abgeordneten beobachte er dies. „Mittlerweile kennen wir sie alle“, sagte der frühere Chef der Revolutionsgerichte in Teheran und forderte, sie müssten für jeden erkennbar gemacht werden. Wörtlich: „Sie müssen mit Abzeichen gekennzeichnet werden.“
Zu den Persönlichkeiten, die sich von der Revolution und ihren Idealen abwenden, gehören die Künstler. Die Repression gegen sie hat zuletzt erheblich zugenommen. In den vergangenen zwei Monaten seien mehr als hundert Künstler verhaftet oder mit einem Ausreiseverbot belegt worden, berichtet die Zeitung „Schargh“, die zu den wenigen geduldeten regierungskritischen Medien Irans zählt. In den vergangenen Tagen wurden fünf Rapper verhaftet. Der bekannteste ist Toomaj Salehi aus Isfahan. Er hat in seinen Liedern und Tweets offen zum Sturz des Regimes aufgerufen. Seine Freunde berichten nun, er werde in der Haft schwer gefoltert. Der 38 Jahre alte Rapper hatte in einer Fabrik gearbeitet und vor allem soziale Probleme thematisiert.
Zu den Künstlern, die durch Haft „eliminiert“ werden, gehören zehn Dokumentarfilmer, denen die Teilnahme an einem Workshop im Ausland zum Verhängnis wurde, sowie 32 Künstler aus Film, Theater und Musik, die eine Petition gegen staatliche Gewalt unterzeichnet hatten. Sechs von ihnen wurden bereits zu Strafen von bis zu sechs Jahren Haft verurteilt.
Offenbar ist die Führung der Islamischen Republik aber nicht gänzlich überzeugt, dass Gewalt und Repression ausreichen, um das aufgewühlte Land wieder unter Kontrolle zu bringen. Davon zeugen vereinzelte Stimmen, Zugeständnisse beim Kopftuchzwang zu machen und die Vorschriften zu lockern. Die Hardliner lehnen das indes ab, weil für sie das Kopftuch ein Mittel ist, um die Unterwerfung unter das Regime zu kontrollieren.
In der Hoffnung, das schmaler gewordene Fundament der Islamischen Republik wieder zu verbreitern, hat das Regime die Ächtung von Mohammad Khatami, dem Reformpräsidenten von 1997 bis 2005, aufgehoben. Länger als ein Jahrzehnt war Khatami aus der Öffentlichkeit verbannt, da die Führung in ihm, der sich für grundlegende Reformen innerhalb der Islamischen Republik und für mehr Freiheiten ausgesprochen hatte, eine Gefahr gesehen hat. Es war aufgefallen, dass in jüngster Zeit in den sozialen Medien Khatamis frühere große Reden prominent platziert worden sind. In dieser Woche nun hatte er bei einem Treffen mit Intellektuellen aus der Unruheprovinz Sistan-Belutschistan erstmals wieder einen öffentlichen Auftritt. Dabei sagte er, ein Umsturz sei weder möglich noch erwünscht, aber auch der derzeitige Zustand könne nicht fortbestehen, sonst drohe der Kollaps. Für die Proteste machte er das schlechte Regieren verantwortlich, und er forderte, die Grundrechte zu respektieren. Die Aufhebung der Ächtung Khatamis könnte ein Zeichen dafür sein, dass sich das Regime auch nach dem Ende der Proteste auf schwierige Zeiten einstellt.
Wie sehr sich das Regime vor Veränderungen fürchtet, zeigt ein Kommentar der Zeitung „Hamshahri“, der die möglichen Folgen einer Revolution umreißt: „Ohne Zweifel werden in einem säkularen System die Schwimmbäder gemischt sein. Frauen werden keine eigenen Besuchszeiten haben. Männer werden ungehindert Frauenfriseursalons betreten. Wie schrecklich, Gott soll uns davor beschützen.“ Diesem Szenario trat der iranische Soziologe Asef Bayat entgegen, der derzeit an einer amerikanischen Universität tätig ist. Er schrieb in der liberalen „Etemad“: „Sie reden über die Gefahren revolutionärer Veränderungen, als ob der jetzige Zustand beispielhaft paradiesisch sei. Sie sollten lieber Mahsa Amini fragen.“