Protest in China : Lächeln für mehr Freiheit - Polizei greift durch
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Die Polizei nimmt die Berichterstatter ins Visier Bild: dpa
Ein Aufruf im Internet von Unbekannten, die „Jasmin-Revolution“ nach China zu holen, sorgt für ein hohes Sicherheitsaufgebot auf Pekings zentraler Einkaufsstraße Wangfujing. Die Polizei setzt Korrespondenten aus dem Ausland unter Druck und nimmt auch deutsche Berichterstatter in Gewahrsam.
Pekings zentrale Einkaufsstraße Wangfujing war am Sonntag wohl einer der am besten bewachten öffentlichen Plätze der Welt. „Alles Polizei“, sagte eine Chinesin auf Englisch der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Um sie herum wimmelte es von Sicherheitskräften in Zivil und in Uniform. Die Polizei filmte, fotografierte, kontrollierte Pässe, befragte Passanten, führte Menschen ab.
Grund für das gewaltige Aufgebot war ein bloßer Aufruf gewesen, ein Aufruf zum Protest. Unbekannte hatten gefordert, die tunesische „Jasmin-Revolution“ nach China zu holen. In zwei Dutzend Städten sollten die Menschen ab 14 Uhr an festgelegte zentrale Plätze gehen. Sie sollten spazieren, sich anschauen, anlächeln, und wenn sie wollten, sollten sie auch Parolen rufen. Schon vor einer Woche hatten sich auf diese Art die Menschen versammelt, vor einem Hamburgerrestaurant am Südeingang der Einkaufstraße. Doch wie damals gab es auch an diesem Sonntag keine sichtbaren Zeichen eines Protests gegen die chinesische Einparteiherrschaft.
Die Konfrontation verlief deshalb nicht zwischen Polizei und Demonstranten, sondern zwischen der Polizei und den ausländischen Journalisten. Besonders hatten es die Behörden offenbar auf die Kamerateams ausländischer Fernsehsender abgesehen. Eine Frau mit Videokamera wurde nach einer handgreiflichen Auseinandersetzung von zwei Polizisten abgeführt. Auch die Korrespondenten der Fernsehsender ARD und ZDF wurden stundenlang festgehalten. Insgesamt setzte die Polizei Agenturberichten nach ein Dutzend Reporter fest, mindestens einer berichtete gar von Schlägen.
Korrespondenten werden unter Druck gesetzt
Schon vorher hatten die Behörden versucht, die in China tätigen Journalisten aus dem Ausland unter Druck zu setzen. Polizeibeamte warnten sie telefonisch, dass sie sich bei ihrer Arbeit an die geltenden Gesetze zu halten hätten. Viele waren am Freitag zum Gespräch in die für die Journalistenvisa zuständige Polizeibehörde „eingeladen“ worden. Die Korrespondenten der F.A.Z. bekamen dabei mitgeteilt, es sei eine Genehmigung nötig, um an bestimmten öffentlichen Plätzen in Peking Interviews zu führen. Dazu gehöre auch die Einkaufsstraße Wangfujing.
Dort hatten die Behörden am Sonntag schon Vorbereitungen getroffen. Wie durch einen Zufall hatten vor ein paar Tagen plötzlich Arbeiter in der Einkaufsmeile eine Baustelle mit Zaun eingerichtet, wodurch offenbar eine Menschenansammlung erschwert werden sollte. Die Sicherheitskräfte sorgten zudem dafür, dass niemand für längere Zeit stehen blieb. Gegen 14.30 Uhr begannen vier Reinigungsfahrzeuge, Wasser auf der Straße zu verteilen, so dass die Passanten, Journalisten und möglicherweise ebenfalls anwesenden schweigenden Demonstranten an die Seite gedrängt wurden. Wenig später wurde die Straße vollständig abgesperrt. Polizisten patrouillierten mit Schäferhunden. Schließlich marschierte auch noch ein Trupp der paramilitärischen bewaffneten Volkspolizei in grünen Uniformen auf.
Hundert Aktivisten unter Hausarrest
Die besonders harten Reaktionen der Behörden haben bei vielen Beobachtern Besorgnis ausgelöst. Schon zuvor hatte die Polizei mehr als hundert Aktivisten unter Hausarrest gestellt, Rechtsanwälte schikaniert und Internetnutzer festgenommen, wie Menschenrechtler berichteten. Mindestens fünf Menschen seien unter den Vorwürfen der „Untergrabung der Staatsgewalt“ oder der „Anstachelung zur Untergrabung“ festgenommen worden, weil sie die Protestaufrufe weitergeleitet hatten.
Dabei herrscht eigentlich Einigkeit darüber, dass ein Aufstand in dem Ausmaß wie in Nordafrika in China derzeit nicht zu erwarten ist. Doch die chinesische Regierung möchte sich wohl nicht überraschen lassen, wenn sich plötzlich doch eine Bewegung organisiert. Auch unter Chinesen gibt es Unzufriedenheit über Inflation, Einkommensunterschiede und hohe Immobilienpreise, über Korruption und Machtwillkür der Behörden.
Wen Jiabao macht Zugeständnisse
Ministerpräsident Wen Jiabao machte deshalb am Sonntag Zusagen, diese Missstände zu bekämpfen, soziale Ungerechtigkeiten zu beseitigen und ein nachhaltigeres Wachstum zu erreichen. Der Regierungschef hatte sich zur Vorbereitung auf die Jahrestagung des Volkskongress, die am kommenden Samstag beginnt, den Fragen ausgewählter Internetnutzer gestellt.
Nicht wenige dürften jedoch Zweifel an den schönen Versprechungen haben. Wie es hieß, soll sich nach dem Protestaufruf am Sonntag zumindest in Schanghai eine etwas größere Menschenmenge angesammelt haben. Nach wie vor ist jedoch unklar, wie viele von ihnen Demonstranten waren. Nur wenige gaben sich zu erkennen, so wie die junge Frau, die die F.A.Z. auf Englisch angesprochen hatte. Sie war offenbar den Aufrufen zum „Spazierengehen“ gefolgt. Denn mit einem Lächeln sagte sie noch ein Wort: „Freedom“, „Freiheit“.