Steigende Mieten : Tausende demonstrieren in Portugal für bezahlbaren Wohnraum
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Demonstranten in Lissabon protestieren für ein Recht auf Wohnen und fordern bezahlbare Wohnungen und mehr sozialen Wohnungsbau. Bild: Reuters
Tausende misstrauen dem Maßnahmenpaket der Linksregierung und demonstrieren in sieben Städten für „bezahlbare und menschenwürdige Wohnungen“. In Portugal herrsche ein „sozialer Notstand“.
Die Ankündigungen der portugiesischen Regierung haben die Demonstranten nicht beeindruckt. In der Hauptstadt Lissabon und sechs weiteren Städten des Landes haben am Samstag so viele Menschen wie noch nie zuvor für das Recht auf bezahlbare und „menschenwürdige Wohnungen für alle“ demonstriert.
Mehr als hundert Gruppen hatten sich zum Bündnis „Ein Haus zum Leben“ zusammengeschlossen, um gegen die Wohnungsnot zu protestieren, die die Inflation noch weiter verschärft hat.
Nach dem Ende des Protestzugs kam es im Zentrum von Lissabon zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei, nachdem zwei Frauen kurzzeitig festgenommen worden waren; zwei Personen wurden verletzt. Tausende machten auf den Straßen von Lissabon, Porto, Coimbra, Braga, Aveiro, Viseu und Setúbal deutlich, dass sie den Maßnahmen, die das Kabinett des sozialistischen Ministerpräsidenten António Costa erst am Donnerstag beschlossen hatte, nicht trauen. Seit Monaten sieht sich die Regierung einer Welle von Streiks und Massenprotesten gegenüber.
Laut der europäischen Statistikbehörde Eurostat gehört Portugal zu den Ländern der Eurozone, in denen Mieten und Kaufpreise für Wohnungen am stärksten steigen. In Lissabon und Porto waren es in den vergangenen fünf Jahren rund fünfzig Prozent. Die Mieten sind ähnlich hoch wie in Mailand und Madrid, aber gut die Hälfte der Portugiesen verdient im Monat nur rund tausend Euro, der Mindestlohn liegt bei 760 Euro.
723.000 Wohnungen stehen leer
In Portugal herrsche ein „sozialer Notstand“, sagte Rita Silva von der Gruppe „Habita“, die die Demonstration mitorganisiert hatte. „Sie betrügen die Menschen, wir müssen die Immobilienpreise senken und die Steuervergünstigungen für Investmentfonds abschaffen“, forderten Politiker des oppositionellen Linksblocks. Die angekündigten Subventionen kämen nur wenigen Menschen zugute.
Die Kritik bezieht sich auf das Maßnahmenpaket, das die sozialistische Regierung mit ihrer Mehrheit bald im Parlament verabschieden will. Mieter werfen ihr vor, sie habe viel zu spät eingegriffen und müsste viel radikaler sein, Immobilienbesitzer sprechen von „Enteignung“. So beabsichtigt die Regierung, Wohnungen, die länger als zwei Jahre leerstehen, notfalls zwangsweise zu vermieten. Das soll aber nur in Ballungsräumen geschehen und keine ganzen Gebäude betreffen. „So viele Menschen ohne Wohnung, so viele Wohnungen ohne Menschen“, hieß es auf einem der Plakate der Demonstranten in Lissabon.
In Portugal stehen nach offiziellen Angaben 723.000 Wohnungen leer, ein großer Teil davon in öffentlichem Besitz. Die Mieten laufender Verträge will die Regierung einfrieren, bei Neuverträgen darf die Erhöhung künftig nicht mehr als zwei Prozent betragen. Schon zuvor war angekündigt worden, Lizenzen für Airbnb-Wohnungen, die besonders in Lissabon und Porto immer mehr Einheimische verdrängt hatten, künftig nur noch in wenig entwickelten ländlichen Gebieten zu vergeben. Das „goldene Visum“ wird endgültig abgeschafft. Jahrelang erhielten Nicht-EU-Bürger, die Immobilien für eine halbe Million Euro erwarben, im Gegenzug ein Schengen-Visum.
Portugal kommt seit Monaten nicht zur Ruhe. Streikende Eisenbahner, Lehrer und Ärzte fordern mehr Geld. Später als zum Beispiel das Nachbarland Spanien reagierte man in Lissabon auf die steigenden Lebenshaltungskosten. Im April soll für 44 Grundnahrungsmittel keine Mehrwertsteuer mehr erhoben werden. Das gilt zum Beispiel für Brot, Kartoffeln, Nudeln, Reis, Milch, Butter, Fisch und Speiseöl. Mit rund 640 Millionen Euro sollen jetzt die schlimmsten Auswirkungen bekämpft werden. Dazu gehört auch eine Lohnerhöhung für Beamte in Höhe von einem Prozentpunkt und eine monatliche Unterstützung von 30 Euro für bedürftige Familien.