Polen : Lech Kaczynskis Talent, sich gekränkt zu fühlen
- -Aktualisiert am
Lech Kaczynski spielt gerne den Beleidigten Bild: AP
Polens Präsident macht der Regierung das Leben schwer: Eigentlich wollte Ministerpräsident Donald Tusk das Kosovo gleich nach der Unabhängigkeitserklärung anerkennen. Doch Kaczynski verteidigte wieder einmal seinen Ruf als Querschläger.
Eigentlich wollte der polnische Ministerpräsident Donald Tusk das Kosovo schon vergangene Woche gleich nach der Unabhängigkeitserklärung anerkennen. Polen wäre damit im „Hauptstrom“ des Westens gewesen, wo es seit der Abwahl der Regierung des nationalkonservativen Ministerpräsidenten Jaroslaw Kaczynski im vergangenen Herbst sein möchte. Dass Warschau den neuen Staat trotzdem erst am Dienstag offiziell zur Kenntnis nahm, hat damit zu tun, das die Ära Kaczynski trotz Tusks enormer Beliebtheit - seine Partei erreicht in Umfragen mehr als 50 Prozent Zustimmung - noch nicht vorbei ist.

Politischer Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.
Der abgewählte Jaroslaw Kaczynski ist zwar derzeit vor allem damit beschäftigt, Revolten in seiner Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) zu ersticken, doch sein Bruder Lech ist weiter Staatspräsident und spezialisiert sich in dieser Funktion darauf, der Regierung Stöcke zwischen die Beine zu werfen, zuletzt in Bezug auf das Kosovo. Als sie den neuen Staat anerkennen wollte, erhob er Einspruch: Solch ein Schritt sei vorschnell, denn er könne Polens Freunde in Georgien betrüben, die sich in ihrem Land mit Separatisten plagen.
Die Strategie der Mimose als politischer Grundzug
Der kalte Krieg zwischen Präsident und Regierungschef begann schon in der Wahlnacht. Während Tusk an jenem 21. Oktober verkündete, nun gehe es nicht mehr um die „Macht“, sondern um die „Liebe“, besann sich Lech Kaczynski auf eine Fähigkeit, in der er schon in der „Kartoffelaffäre“ im Sommer 2006 Meisterschaft gezeigt hatte: dem Beleidigtsein. Damals war er in einem satirischen Artikel der „Tageszeitung“ mit einer Kartoffel verglichen worden, worauf ihn eine so gewaltige Darmverstimmung erfasste, dass er ein Treffen mit Bundeskanzlerin Merkel und dem französischen Präsidenten Chirac in Weimar absagte.
Nach Tusks Wahlsieg ist die Strategie der Mimose zum Grundzug seiner Politik geworden. Schon in der Wahlnacht verweigerte er dem Sieger die übliche Gratulation und zog sich stattdessen so lange in den Präsidentenpalast zurück, bis Gerüchte umgingen, er sei wieder von einer Unpässlichkeit erfasst worden. Später sagte er, er habe nicht gratuliert, weil Tusk ihn im Wahlkampf auf beleidigende Weise angegriffen habe.
Seither hat Kaczynski eine veritable Dialektik des Gekränktseins entwickelt. Einerseits beschwert er sich darüber, dass Minister ihn nicht besuchen (etwa Außenminister Sikorski, der ihm einmal wegen einer Kabinettssitzung absagte) oder ihn nicht anrufen. Andererseits setzt er auf effektvolle Abwesenheit, wenn seine Gegenwart erwartet wird - etwa bei der Regierungserklärung Tusks, als sein Sitz im Parlament leer blieb, oder bei einer Sitzung des von ihm selbst einberufenen Kabinettsrats, den er einfach verließ, weil ihm der Vortrag einer Ministerin nicht gefiel.
Die Macht soll ihren klaren Platz bekommen
Die Regierung hat eine Zeitlang versucht, gute Miene zu diesem Spiel zu machen. Tusk hat sich - wenn auch etwas leichthin - für die angeblichen Grobheiten im Wahlkampf entschuldigt. Sikorski hat einmal sogar Knall auf Fall den EU-Außenministerrat in Brüssel verlassen, weil „der Palast“ ihn zum Präsidenten zitierte. Später zeigte sich, dass das Staatsoberhaupt nur einen kleinen Plausch beim Tee gewünscht hatte.
Seit dem Streit über das Kosovo aber ist klar, dass Tusks Entgegenkommen Grenzen hat. Er hat erkennen lassen, dass er diesem Spiel durch eine Verfassungsreform ein Ende machen will. Der Präsident Polens hat heute umfassende Möglichkeiten. Er kann Gesetze durch sein Veto stoppen, und er entscheidet zusammen mit der Regierung über die Ernennung von Botschaftern und Generälen. In der Außenpolitik obliegt ihm die Ratifikation völkerrechtlicher Verträge. Die Regierung kann nicht ohne ihn und er nicht ohne sie.
Diese unbequeme „Cohabitation“ will Tusk nun auf lange Sicht aufheben. Dabei ist ihm gleich, ob der Ministerpräsident gestärkt wird oder der Präsident - solange nur die Macht ihren klaren Platz bekommt. Sein Plan scheint nicht aussichtslos, weil die Brüder Kaczynski, ohne deren Partei die nötige Zweidrittelmehrheit im Parlament nicht möglich ist, in der Vergangenheit immer wieder einen „starken Präsidenten“ verlangt haben. Das Motto für die Einigung hat Tusk schon ausgegeben: „Verabreden wir uns, gemeinsam zu entscheiden, dass der, der Wahlen gewinnt, dann auch regiert.“