Justizstreit mit der EU : Polen hofft auf 35 Milliarden Euro durch Auflösung der Disziplinarkammer
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Über dem Haupteingang des Obersten Gerichts in Warschau hängt im Jahr 2018 ein Banner mit der Aufschrift «Konsytucja» (Verfassung). Bild: dpa
Polen beugt sich dem Druck aus Brüssel. Kritiker fürchten allerdings ein bloßes taktisches Manöver der PiS. Die EU will deshalb abwarten, ehe sie Milliarden aus dem Corona-Fonds freigibt.
In Polen hat der Sejm, das Abgeordnetenhaus, einen Gesetzentwurf verabschiedet, durch welchen das umstrittene Disziplinarsystem für Richter reformiert wird. Die Disziplinarkammer am Obersten Gericht wird demnach, wie von der EU-Kommission gefordert, aufgelöst. Jetzt muss das Gesetz noch von Präsident Andrzej Duda ausgefertigt werden, der bei dieser Lösung Pate gestanden hatte. Duda sagte am Freitag, er werde schnell darüber entscheiden, und erinnerte daran, was dabei auf dem Spiel steht: die Freigabe von etwa 35 Milliarden Euro Zuschüssen und Krediten aus dem Corona-Aufbauplan, die Brüssel bisher zurückgehalten hatte. Sollte der Präsident unterschreiben, würden die Regelungen im Juli in Kraft treten.
Allerdings ist sehr fraglich, ob die abermalige Reform des Obersten Gerichts die Auszahlung der EU-Mittel sicherstellt. Zwar hatte die Opposition im Senat (Oberhaus), wo sie die Mehrheit stellt, kurz vor dem Polenbesuch der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorige Woche Änderungen am Gesetzentwurf durchbringen können. Unter anderem sollten alle Urteile der umstrittenen, erst 2017 geschaffenen Kammer aufgehoben und ihre Richter aus dem Gericht entfernt werden. Auch sollten durch die Disziplinarkammer aus dem Amt entfernte polnische Richter wieder in ihre Funktion eingesetzt werden.
Auszahlung von Einhaltung von „Meilensteinen“ abhängig
Diese Verbesserungen sollten sicherstellen, dass die Neuregelung die Anforderungen der EU klar erfüllt. Im Oberhaus stimmten sogar die Senatoren der rechten Regierungspartei PiS für diese Bestimmungen. Dann jedoch reiste von der Leyen wieder ab, und die PiS-Abgeordneten im Sejm verwarfen die Änderungen. Wenn gemaßregelte Richter, wie im bekannten Fall Paweł Juszczyszyn geschehen, tatsächlich wieder zugelassen werden, müssen sie mit einer Versetzung innerhalb des Gerichts rechnen, was der Betroffene als „Schikane“ wertete.
Die Auszahlung der Tranchen soll nun von der Einhaltung von „Meilensteinen“ durch die polnische Regierung abhängig gemacht werden. Dadurch wird der Konflikt in die Länge gezogen. Vorgesehen ist, dass eine Nachfolgekammer der Disziplinarkammer mit im EU-Sinne unabhängigen Richtern besetzt wird, das Disziplinarrecht reformiert und rechtswidrig abgesetzte Richter automatisch wieder eingesetzt werden.
Regierungskritiker, etwa der frühere Ombudsmann Adam Bodnar, halten diese Lösung für einen „Fehler“. „Die Bedingungen der Meilensteine werden nur zum Schein erfüllt werden“, schrieb er am Freitag in der liberalen „Gazeta Wyborcza“. Dass auch das Verfassungsgericht und der Landesjustizrat nicht im Einklang mit europäischen Normen besetzt worden seien, werde inzwischen unter den Teppich gekehrt. So „kann die Kommission mittelbar dazu beitragen“, dass die PiS 2023 die Wahlen gewinnt und in Polen vollends ein „System nach dem Vorbild Ungarns“ installiert, schrieb Bodnar.