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Konflikt im Osten : Macron stellt NATO-Russland-Grundakte infrage

Emmanuel Macron in der vergangenen Woche in Moskau Bild: AP

Der französische Präsident Emmanuel Macron nähert sich Polen an und ebnet einer gemeinsamen EU-Position den Weg. Putin dürfe man nicht nachgeben, heißt es aus Paris.

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          Eine „perfekte Übereinstimmung der französischen und deutschen Positionen“ hat Präsident Emmanuel Macron nach einem Telefonat mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Samstagnachmittag festgestellt. In dem Kommuniqué des Elysée-Palastes schwang eine gewisse Erleichterung mit, dass Scholz an diesem Montag in Kiew und am Dienstag in Moskau keine diplomatische Initiative anstrebt, die über das Mantra einer „Deeskalation“ hinaus geht. Paris erwarte von dem Besuch des Bundeskanzlers, dass Präsident Putin „klarere Signale“ als vor einer Woche gebe, so der Elysée-Palast.

          Michaela Wiegel
          Politische Korrespondentin mit Sitz in Paris.

          Macron macht sich nach einem neuerlichen Telefonat mit Putin, das eine Stunde und vierzig Minuten währte, nicht mehr viel Illusionen über die verbleibenden Verhandlungsspielräume. Macron habe Putin eine „sehr klare Botschaft“ übermittelt, heißt es im Elysée. Moskau müsse mit einer „robusten, koordinierten und einheitlichen Antwort“ rechnen, sollte es zu einer militärischen Offensive auf dem staatlichen Hoheitsgebiet der Ukraine kommen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, dem er hinterher Bericht erstattete, dankte Macron für „den persönlichen Einsatz“.

          Vorsitz der Battle Group in Rumänien

          Im Elysée spricht man im Falle eines russischen Angriffs von „harten Wirtschaftssanktionen“, aber auch offen über eine Revision der NATO-Russland-Grundakte aus dem Jahr 1997. Polen dringt seit Langem darauf, die Grundakte nicht mehr als Grundlage anzusehen, da die Besetzung der Krim-Halbinsel einen klaren Verstoß gegen die Vereinbarung darstellt. Bislang hatten Paris und Berlin immer davor zurückgeschreckt, eine völkerrechtliche Vereinbarung de facto aufzukündigen. Doch beim jüngsten Gipfel des Weimarer Dreiecks in Berlin wurde mit dem polnischen Präsidenten eine neue Position erarbeitet. Wie es im Elysée heißt, ist die Stationierung von Raketensystemen und NATO-Truppen und schwerem Gerät an der Ostflanke in Arbeit, sollte Russland die Souveränität der Ukraine verletzen und „einen Korridor“ von Belarus nach Kaliningrad bedrohen.

          Diese Pläne gehen weit über die in der NATO diskutierte Ausweitung der „enhanced forward presence“ (EFP) nach Rumänien und Bulgarien hinaus. Frankreich hat bereits zugesagt, bis zu 1000 Soldaten entsenden zu wollen. Im Elysée wurde jetzt bestätigt, dass Frankreich bereit ist, den Vorsitz der Battle Group in Rumänien zu übernehmen. Frankreich lieferte in der Zeit zwischen 2014 und 2020 mit einem Volumen von 1631 Millionen Euro die meisten Waffen an die Ukraine, noch vor Polen mit einem Exportvolumen von 657,5 Millionen Euro. 2021 hat Großbritannien laut den Jahresberichten über die Ausfuhr von Militärgütern und Militärtechnologie der EU Frankreich den Rang des wichtigsten europäischen Waffenlieferanten für die Ukraine abgelaufen.

          Die gesamte Grundakte stehe im Fall einer derartigen Aggression zur Disposition, heißt es in diplomatischen Kreisen in Paris. In der Grundakte verpflichtet sich die NATO gegenüber Moskau, dass auf dem Staatsgebiet der neuen NATO-Mitglieder keine nennenswerten militärischen Einrichtungen geschaffen werden. Die Atommacht Frankreich verfolgt seit Langem mit großer Beunruhigung, dass Russland in Kaliningrad taktische Boden-Boden-Raketen vom Typ „Iskander“ stationiert hat, die mit konventionellen und atomaren Gefechtsköpfen bestückt werden können.

          Im diplomatischen Dienst ist die Skepsis gegenüber Moskau besonders groß. Dies war einer der Gründe, warum Macron Ende August 2019 auf den „deep state“ schimpfte, der seine Annäherungsbemühungen an Moskau behindere. Aus dem gescheiterten „Reset“-Versuch hat Macron gelernt. Aus dem Elysée hieß es, Macron habe bei seinem Besuch im Kreml Putin als wesentlich härter und unnachgiebiger als im Sommer 2019 empfunden. Putin habe Macron im Telefonat am Samstag abermals versichert, es sei kein Angriff auf die Ukraine geplant. In Paris wird betont, einen „Blankoscheck“ für Putin werde es nicht geben.

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