Papst zu EU-Migrationspolitik : „Ein Schiffbruch der Zivilisation“
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Papst Franziskus am Sonntag im Flüchtlingslager in Mytilene auf der griechischen Insel Lesbos Bild: dpa
Papst Franziskus ist bei einem Besuch auf der griechischen Insel Lesbos und in Athen abermals hart ins Gericht gegangen mit Europas Umgang mit Bootsmigranten. Aber es gab auch eine Entschuldigung in eigener Sache.
Der Ausflug von Papst Franziskus auf die Insel Lesbos am Sonntagmorgen dauerte gerade einmal gut zwei Stunden, aber er war dennoch so etwas wie das Kernstück seines dreitägigen Besuches in Griechenland. Schon vor gut fünf Jahren, am 16. April 2016, war Franziskus auf die Insel geflogen, die in der Ägäis unweit der türkischen Küste liegt. Beim Besuch des Flüchtlingslagers Moria hatte Franziskus seinerzeit versprochen, er werde wiederkommen. Zudem brachte er im päpstlichen Charterflugzeug, das die Amerikaner vor einigen Jahren – in Anlehnung an die Präsidentenmaschine „Air Force One“ – auf den inzwischen gebräuchlichen Namen „Shepherd One“ (Hirte 1) tauften, zwölf syrische Kriegsflüchtlinge aus Moria mit nach Rom.
Sein Versprechen, nach Moria zurückzukehren, hat der Papst am Sonntag eingelöst, wenn auch nicht vollumfänglich. Denn Moria gibt es nicht mehr. Das für knapp 3000 Menschen ausgelegte Lager, in dem zeitweilig bis zu 20000 Migranten zusammengepfercht waren, brannte im September 2020 ab, mutmaßlich wegen Brandstiftung durch afghanische Flüchtlinge. Stattdessen besuchte Franziskus am Sonntag das Lager Kara Tepe nahe Mytilini, wo sich neben der seit Jahren bestehenden Containersiedlung seit der Zerstörung von Moria auch das provisorische Zeltlager Kara Tepe 2 mit Platz für bis zu 8000 Menschen befindet.
Der Papst auf dem Schotterweg
Franziskus nahm sich viel Zeit, die hinter Absperrgittern aufgereihten Migranten persönlich zu begrüßen statt sich an ihnen im weißen Fiat 500 mit dem Kennzeichen der Vatikanstadt „SCV 1“ vorbeichauffieren zu lassen. Franziskus schüttelte zahlreiche Hände, zumal von Kindern, und legte ihnen segnend die Hand auf den Kopf. Beim Gang über den Schotterweg stützte sich Franziskus, der am 17. Dezember 85 Jahre alt wird, auf den Arm seines Übersetzers. Die Begegnung mit den Migranten, die fleißig Selfies mit Papst machten, erfüllte den Papst sichtlich mit Freude.
In seiner Ansprache in dem Lager, im Beisein von Präsidentin Katerina Sakellaropoulou, von EU-Migrationskommissar Margaritis Schinas und dem griechischen Migrationsminister Notis Mitarachi, prangerte der Papst den Umgang mit Migranten in Europa als „Schiffbruch der Zivilisation“ an. „Lassen wir nicht zu, dass das Mare Nostrum (Unser Meer) sich in ein trostloses Mare Mortuum (Meer der Toten) verwandelt“, forderte der Papst.
Aus dem historischen Ort der Begegnung und des Austausches zahlreicher Zivilisationen dürfe nicht das „Meer des Vergessens“ werden, sagte Franziskus. Er prangerte abermals die Gleichgültigkeit von Regierungen mehrerer EU-Staaten gegenüber dem Schicksal der Flüchtlinge an. Schon am Samstag hatte Franziskus in Athen die europäische Flüchtlingspolitik scharf kritisiert und die EU als „von nationalistischen Egoismen zerrissen“ beschrieben.
In seiner Rede auf Lesbos hob Franziskus hervor, die Migration „ein Weltproblem“ sei, das angehe und die Flüchtlingskrise in den Zusammenhang mit zwei weiteren globalen Herausforderungen: „Die Pandemie hat uns auf globaler Ebene getroffen. Wir haben verstanden, dass wir uns den großen Fragen gemeinsam stellen müssen. Während jedoch die Impfungen, wenn auch mühevoll, auf Weltebene vorangebracht werden und sich im Kampf gegen Klimaveränderungen, wenn auch mit vielen Verzögerungen und Unsicherheiten, etwas zu bewegen scheint, sieht alles im Bereich der Migrationen nach einem schrecklichen Stillstand aus.“
Dabei stünden in der Migrationskrise nicht nur jeden Tage Menschen und Menschenleben auf dem Spiel, sondern auch unser aller Zukunft. „Wenn nämlich die Armen zurückgewiesen werden, wird der Frieden zurückgewiesen. Die Geschichte lehrt, dass Abkapselungen und Nationalismen katastrophale Folgen haben“, warnte der Papst.
Am Samstag, dem Tag seiner Ankunft von Zypern aus, der ersten Station seiner Reise, hatte sich Franziskus in Athen vor der Bedeutung Griechenlands für die Herausbildung der europäischen Kultur sowie des orthodoxen Glaubens für die Entwicklung des Christentums verneigt. Beim Treffen mit dem orthodoxen Erzbischof von Athen, Hieronymos II., erneuerte Franziskus die erstmals 2001 von Johannes Paul II. ausgesprochene Bitte des Vatikans um Vergebung „für die Fehler, die so viele Katholiken begangen haben“. Johannes Paul II. war vor zwei Jahrzehnten der erste Papst, der die griechische Hauptstadt seit der Spaltung der orthodoxen und der katholischen Kirche im Jahr 1054 besuchte.
Die Bitte um Vergebung von Franziskus und Johannes Paul II. gegenüber den Orthodoxen bezieht sich auf den vierten Kreuzzug von 1202 bis 1204. Dabei zogen die katholischen Kreuzfahrer in Richtung Jerusalem, zerstörten und plünderten auf ihrem Weg Konstantinopel und schwächten damit das byzantinische Reich und das orthodoxe Ostchristentum nachhaltig. „Ich habe heute das Bedürfnis, Gott und meine Brüder und Schwestern erneut um Vergebung zu bitten“, sagte Franziskus beim Empfang im erzbischöflichen Palais.