Papst Franziskus in Irland : Die Skandale reisen mit
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„Wie Leprakranke behandelt“
Nach der Höflichkeitsvisite beim Präsidenten trifft der Papst Premierminister Leo Varadkar, den politischen Führer des heutigen Irlands, wo nicht mehr – wie noch 1979 – gut 90 Prozent der Menschen jede Woche zur Messe gehen, sondern nur noch 30 Prozent. An diesem Punkt nun schließt sich der Ring zum Jesuitenpriester James Martin und zu dessen Plädoyer für die LGBT-Gemeinschaft. Ministerpräsident Varadkar, im Jahr des Papstbesuchs von 1979 als Sohn eines hinduistischen Inders und einer katholischen Irin in Dublin geboren, katholisch getauft und in katholischen Schulen ausgebildet, ist offen schwul. Für die Mehrheit der Wähler Irlands – und damit für die Mehrheit der Katholiken Irlands – ist das heute kein Problem mehr. Sonst hätte Varadkar von der liberal-konservativen Partei Fine Gael in diesem Land keine so steile politische Karriere hinlegen können.
Im Mai 2015 hatten die Iren in einem Referendum über die Zulassung gleichgeschlechtlichen Ehen abgestimmt, und Varadkar hatte sich damals gerade vier Monate vorher geoutet. Hoffentlich, sagte er damals, werde er zusammen mit seinem Partner bald die gleichen Rechte haben wie heterosexuelle Ehepaare. Die Hoffnung erfüllte sich: 62 Prozent der irischen Wähler, von denen sich heute immerhin noch 78 Prozent zum katholischen Glauben bekennen, stimmten für die Zulassung der Schwulen- und Lesbenehe. Im Mai dieses Jahres äußerten dann sogar 66 Prozent der Iren in einer Volksabstimmung ihre Zustimmung zur Legalisierung der Abtreibung. Varadkar war einer der entschiedensten Kämpfer gegen das bis dahin gültige absolute Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen. Das Verbot war in der Verfassung festgeschrieben und galt selbst bei Vergewaltigung, lebensunfähigen Föten und bei Gefahr für das Leben der Mutter. Bevor der Ministerpräsident sich am Wochenende mit dem Papst traf, sagte Varadkar, er werde ihn auch auf Missbrauch und Misshandlungen in der Kirche, auf die Rechte von Schwulen und Lesben sowie auf die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ansprechen.
So redet keiner, der sich noch vor dem Bannfluch kirchlicher Autoritäten fürchtet. Und offenbar fürchtet auch Jesuitenpriester James Martin keine Maßregelung von „ganz oben“ – schließlich ist Papst Franziskus ja auch Jesuit und hat Martin zudem als Berater ins Dikasterium für Kommunikation im Vatikan berufen. Der sagt, Menschen aus den LBGT-Gemeinschaft würden von der Kirche „wie Leprakranke“ behandelt, und er beklagte die „tiefen Wunden“, die der Ausschluss, die Verhöhnung und Verdammung durch die Kirche bei dieser Minderheit schlügen. „Dabei sind diese Menschen ebenso Teil der Kirche wie Papst Franziskus, der örtliche Bischof, der Priester oder jede andere“, sagte Martin. Es könne deshalb nicht darum gehen, „sie zu Katholiken zu machen – denn das sind sie längst“.
Doch für eine sachliche aktuelle Debatte über Homosexualität ist in der katholischen Kirche angesichts der nicht abreißenden Missbrauchsskandale von Irland über die Vereinigten Staaten bis Chile nur wenig Raum. Konservative Kreise und Gegner von Papst Franziskus sehen gerade in der „schleichenden Akzeptanz“ von Homosexualität, wie sie James Martin vertrete, die Ursache für den systemischen Missbrauch in der Kirche – und eben nicht in dem Umstand, dass Priester, Bischöfe und auch Kardinäle ihre Machtposition nur deshalb ausnutzen konnten, weil sie keine ernsthaften Konsequenzen für ihren Machtmissbrauch fürchten mussten.