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Pädophilie : International vernetzt

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Deutschland, Frankreich, Niederlande, Schweiz: Ein Pädophilen-Netz spannte sich durch Europa Bild: F.A.S.

Die Pädophilen haben sich seit den siebziger Jahren gut organisiert. In ganz Europa gab es Verbände. Jetzt wurde das Geflecht genau untersucht – manche Spuren reichen bis in die Gegenwart.

          8 Min.

          In den 1970er Jahren mussten sich Ideologen der Pädophilie im mittleren Europa nicht groß verstecken. In Frankreich insbesondere konnten sie sich auf den Rückhalt unter Intellektuellen verlassen. In Paris meldeten sich hinreichend Dichter und Denker zu Wort, die aus ihren sexuellen Vorlieben für Jungen keinen Hehl machten, darunter etwa André Gide, Henry de Montherlant sowie – nach 1968 – Gabriel Matzneff, Michel Foucault, Tony Duvert und René Schérer. Große Entrüstungsstürme riskierten sie damit nicht.

          Eine Reihe von Medien bot diesen Intellektuellen und Schriftstellern vielmehr großzügig eine öffentliche Bühne. Als im Januar 1977 drei Männer wegen Sexualdelikten gegen 13 und 14 Jahre alte Kinder im Gefängnis saßen und auf ihren Prozess warteten, solidarisierten sich etliche Intellektuelle mit den drei Angeklagten, deren Freilassung sie appellativ forderten.

          „Damals gab es so viele Petitionen. Man unterschrieb sie fast automatisch“

          Darunter befanden sich Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir, Louis Aragon, Catherine Millet, René Schérer, André Glucksmann, der französische Sozialist und langjährige Bildungs- und Kulturminister Jack Lang sowie Sarkozys späterer Außenminister Bernard Kouchner. Als man Jahre später den Sex mit Kindern weniger gönnerhaft betrachtete, gab einer der Resolutionäre, der zwischenzeitliche Maoist und heute Papist Philippe Sollers, zu seiner Entschuldigung an: „Damals gab es so viele Petitionen. Man unterschrieb sie fast automatisch.“

          Es war eben eine „autre temps“, wie „Le Monde“ Jahre später erkennbar unangenehm berührt zurückblickte. Auch organisatorisch existierten in Frankreich gleich mehrere pädophile Gruppierungen. Zum einen war das die FLIP (Pädophile Befreiungsfront), die im Rahmen der „Affäre von Versailles“ entstand und in der Zeitung „Libération“ einen Ort fand, in dem sie im April 1977 einen Aufruf zur Gründungsveranstaltung plazieren konnte. Mitte 1977 folgte dann die FRED (Aktionsfront für die Suche nach einer anderen Kindheit).

          Nicht nur in Frankreich sprachen pädophile Gruppen vergleichsweise offen

          Und schließlich bildete sich noch, zwei Jahre später im Juli 1979, die GRED (Forschungsgruppe für eine andere Kindheit), die um all diejenigen warb, „die sich als Freunde/Verliebte von Kindern und Jugendlichen verstehen, insbesondere Päderasten oder Pädophile jeglicher Art (gelebte Homo- oder Heterosexualität; sexualisiert oder nicht)“. Diese Gruppe unterhielt als Verlautbarungsorgan während der Jahre 1981 bis 1987 die Zeitschrift „Le Petit Gredin“ (Der kleine Bösewicht). Auch sonst fehlte es im Frankreich nicht an weiteren Magazinen, die mehr oder weniger mit der Pädophilenbewegung in Verbindung standen.

          Doch beschränkte sich dergleichen nicht auf Frankreich. In einem spezifischen Diskursklima konnten pädophile Gruppen ihre Anliegen auch sonst vergleichsweise offensiv vertreten. Andererseits: Pädophile besaßen in den siebziger Jahren ihrerseits nicht unbegründete Ängste davor, als „Triebtäter“ unbefristet in die Psychiatrie eingewiesen zu werden. Stereotaktische Gehirnoperationen etwa mit schwersten Folgeschäden oder Medikamententherapien zur Reduktion des Geschlechtstriebs waren verbreitete Methoden im Umgang mit wiederholt straffällig gewordenen Pädophilen.

          Als liberal galten die Niederlande

          Und man beschränkte sich keineswegs auf Pädophile, sondern hielt auch Homosexualität oder Hypersexualität lange Zeit für therapiewürdig, notfalls gegen den Willen der Betroffenen. Als liberal galten demgegenüber die Niederlande. In der an ein internationales Publikum gerichteten und in Holland produzierten propädophilen Zeitschrift „Pan“ wurden unter dem Titel „The Battle Line“ in jeder Ausgabe Gegner der Pädophilen genannt und ihre Positionen mit den eigenen verglichen. Einzelpersonen, aber unter anderem auch die Zunft der Psychiater als solche, standen in der Kritik.

          Diese Auseinandersetzung mit der Psychiatrie war ein fester Teil innerhalb der damaligen linken Diskussionszusammenhänge, sah man in ihr doch ein normierendes und damit letztlich repressives Organ. Der propädophile Aktivismus jener Zeit knüpfte an diese Strömungen an, unterstützt durch „Pan“ und weitere international ausgerichtete Zeitschriften, die ebenfalls überwiegend in den Niederlanden erschienen. Ein Zufall war das nicht. Das Editorial der ersten Ausgabe der „Pan“ pries unter der Überschrift „Why Holland?“ die größere Offenheit der niederländischen Gesellschaft für die pädophile Botschaft.

          „Pan“ und „Paidika“

          „Pan“ erschien zwischen 1979 und 1985 in 21 Ausgaben und fungierte primär als Informationsmedium, das über Pädophile in verschiedenen Ländern berichtete. Auch kamen hier die Sexualwissenschaftler Frits Bernard und Theo Sandfort regelmäßig zu Wort. Beide befürworteten Pädophilie, sofern diese einvernehmlich sei. Zu den regelmäßigen Beiträgen zählten zeitnah gehaltene Artikel über staatliche Vorstöße gegen pädophile Aktivisten in den diversen Ländern.

          Neben „Pan“ kam zwischen 1987 und 1995 überdies die stärker sexualwissenschaftlich argumentierende „Paidika“ von Pädophilen aus den Niederlanden. Zum international zusammengesetzten, akademischen Herausgeberkreis gehörten in den achtziger und neunziger Jahren die in pädophilen Kreisen renommierten niederländischen Sexualwissenschaftler, neben Bernard und Sandfort handelte es sich um Edward Brongersma und Alex von Naerssen.

          Stärker institutionalisiert und zielstrebiger

          Die Niederlande boten aber nicht nur ein geeignetes Terrain, um über Magazine die pädophile Sendung zu verbreiten. Die 1987 gegründete Organisation „International Paedophile and Emancipation Movement“ (IPCE), eine Art institutionalisierte Austauschplattform von Pädophilen, hielt ungefähr alle zwei Jahre internationale Treffen ab, wovon die meisten eben auf holländischem Boden stattfanden. Der pädophile Aktivismus in den Niederlanden war von Anfang an stärker institutionalisiert und zielstrebiger unterwegs als in anderen Ländern, was sich vor allem Frits Bernard als Verdienst zuschreiben konnte.

          Er war ein unermüdlicher Initiator, nach eigenen Angaben für die pädophile Sache bereits seit den 1940er Jahren eingespannt. In der „Paidika“ schilderte er, dass 1957 erste Kontakte zu einer Interessengruppe von Schwulen, dem Cultuur en Ontspanningscentrum (COC), geknüpft worden waren, wenngleich dieser frühe Versuch einer politischen Lobbyformation für pädophile Interessen noch ergebnislos blieb.

          Nachdem Bernards Versuche, in der COC Fuß zu fassen, scheiterten, zog er den „Enclave Kring“ aus der Taufe. Diese Vereinigung operierte als ein internationales Kontaktnetzwerk zwischen Pädophilen, blieb jedoch trotz der internationalen Unterstützer bis in die frühen 1970er Jahre eine Untergrundorganisation.

          Wichtig war der wissenschaftliche Anstrich

          Mit einer auf wissenschaftliche Begründungsmetaphern fokussierten Ausrichtung wurde der Grundstein für die relativ erfolgreiche Orientierung des pädophilen Aktivismus während der siebziger Jahre gelegt. In dieser Zeit fand Bernard breitere gesellschaftliche Unterstützung in der „Niederländischen Gesellschaft für sexuelle Reform“ (NVSH). Dazu gesellte sich eine sexualwissenschaftliche Expertenkommission, welche 1972 das Buch „Sex met Kinderen“ publizierte, was international eine beachtliche Rezeption fand und, laut Bernard, eine enorme Aufbruchsstimmung erzeugte. Pädophile Arbeitsgruppen konstituierten sich fortan in unterschiedlichen niederländischen Städten.

          „Enclave Kring“ hatte sich so vom Untergrund in die Öffentlichkeit vorgearbeitet. Wichtig hierfür war zweifellos der wissenschaftliche Anstrich, der nicht zuletzt auf Deutschland ausstrahlte. Die Ergebnisse der Untersuchungen Bernards lieferten nämlich gerade hierzulande probate Rechtfertigungsformeln für pädophile Handlungen. Die zwischen 1973 und 1975 abgehaltenen fünf internationalen Versammlungen im Rahmen der NVSH in Breda stufte Bernard als veritables Coming-out ein.

          Allianzen zerbrachen und lösten sich auf

          Indes verlor die Pädophilenbewegung in den Niederlanden bald an gesellschaftlichem Wohlwollen. Auch andernorts gerieten die Pädophilieaktivisten im Verlauf der achtziger Jahre mehr und mehr ins Hintertreffen. Dort, wo sich Pädophilengruppen erfolgreich den Schwulenverbänden angeschlossen hatten, zerbrach diese Allianz wieder oder löste sich sukzessive auf. Deutlich spiegelte sich das Schisma, als 1993 die „International Lesbian and Gay Association“ (ILGA) ihre pädophilen Mitgliedsgruppen ausschloss.

          Attacken konservativer Gruppierungen, die die Standpunkte der ILGA mit denen der „North American Man/Boy Love Association“ (NAMBLA) gleichsetzten, veranlassten die ILGA zu diesem Schritt. Die ILGA fürchtete anderenfalls, den von den Vereinten Nationen gerade erst errungenen Status einer NGO wieder zu gefährden. Der deutsche „Bundesverband Homosexualität“ und der „Verein für sexuelle Gleichberechtigung“ forderten, dass Gruppen wie NAMBLA Teil der ILGA bleiben sollten. Hingegen billigte der von Volker Beck und anderen geführte Schwulenverband Deutschlands die Entscheidung ausdrücklich.

          Eine Partei, die Kinderpornographie legalisieren wollte

          In den Niederlanden existierten zusätzlich zwei weitere Organisationen: Die 1982 gegründete „Vereniging Martijn“ und die „Partij voor Naafstenliefde, Vrijheid en Diversiteit“. Zwischen 1986 und 2006 publizierte die „Vereniging Martijn“ mit dem „O.K. Magazine“ eine nur postalisch vertriebene Gazette mit Abbildungen spärlich bekleideter oder nackter Kinder. Vorsitzender war Ad van den Berg, der 2011 zu einer Haftstrafe wegen Kindesmissbrauchs und des Besitzes von Kinderpornographie verurteilt wurde.

          Mit der „Partij voor Naafstenliefde, Vrijheid en Diversiteit“ gab es zwischen 2006 und 2010 sogar eine Partei, in der Mitglieder aus dem Umfeld der „Verenigung Martijn“ wie Ad van den Berg, Marthijn Uittenbogaard oder Norbert De Jonge versuchten, die Altersgrenzen für sexuelle Beziehungen auf 12 Jahre abzusenken und generell die Schutzregelungen aufzuweichen. Nur „gefährlicher Sexualkontakt“ hätte strafbar zu bleiben.

          Das Programm der Partei ging noch weiter: Kinderpornographie sollte für den privaten Gebrauch legalisiert, überdies auch das Alter gesenkt werden, ab dem man in Pornos darstellerisch mitwirken könne. Nichtgewalttätige Pornographie sollte tagsüber im Fernsehen ausgestrahlt werden dürfen. Prostitution sollte ab 16 Jahren genauso legal sein wie Sex mit Tieren.

          Die unbestrittenen Stars der Pädophilenbewegung

          Neben der organisatorischen Infrastruktur haben die Niederlande mit Frits Bernard und Edward Brongersma auch die unbestrittenen Stars der Pädophilenbewegung hervorgebracht. Während sich Bernard überwiegend publizistisch zu Wort meldete, war der nicht minder publizistisch umtriebige Brongersma als international renommierter Aktivist besonders wichtig für die internationale Vernetzung von Pädophilen. Einst Mitglied in einer katholischen Partei, schloss er sich nach dem Krieg den niederländischen Sozialdemokraten an, für die er später auch im Parlament saß und sich dort maßgeblich für die Angleichung der Schutzaltersgrenzen von Homo- und Heterosexuellen engagierte, die auf 12 Jahre abgesenkt wurden.

          Brongersma trat in verschiedenen internationalen Pädophilenversammlungen als Redner auf und engagierte sich bei der Gründung von Organisationen wie der „Deutschen Studien- und Arbeitsgemeinschaft Pädophilie“ (DSAP). Überhaupt schien die Pädophilenbewegung international gut vernetzt gewesen zu sein. So verschickte die „Schweizerische Arbeitsgemeinschaft Pädophilie“ (SAP) nicht nur ihre Pamphlete umfänglich ins Ausland, sondern unterhielt auch eine Zweigstelle in Berlin. Generell pflegte sie gute Beziehungen nach Deutschland, etwa zur „uns besonders nahestehenden, aktiven DSAP“.

          „Eine Art von Geheimbund“

          Die SAP entstand in den frühen siebziger Jahren. Laut Eigendarstellung waren die Mitglieder in der SAP bunt gemischt. Weibliche Mitglieder fehlten allerdings ganz; Pädophile, die sich von Mädchen angezogen fühlten, waren ebenfalls in der Minderheit. Während die SAP am Anfang sehr darauf achtete, „eine Art von Geheimbund zu bilden, so glauben wir nun, dass es besser ist, in gewissen Beziehungen diese Einstellung zu verlassen“. Dies sei deshalb angezeigt, weil sich die Gesellschaft insgesamt öffne.

          Vor allem „die progressiven homosexuellen Organisationen“ gerieten in den strategischen Blick. Der Versuch eines Coming-out geschah in auffälliger zeitlicher Nähe zu den geschilderten Öffnungsversuchen in den Niederlanden – und der britischen Pädophilenbewegung, die ebenfalls 1977 versuchte, an die Öffentlichkeit zu treten. Hierfür wurde die Presse eingeladen, was sich jedoch fatal für die britische Trägergruppe „Paedophile Information Exchange“ (PIE) auswirkte.

          PIE wurde 1974 gegründet und Mitte der achtziger Jahre endgültig verboten. Ihr international bekanntester Vertreter war der ehemalige Lehrer Thomas O’Carroll, der 1980 das Buch „Paedophilia. The Radical Case“ veröffentlicht hatte und mehrfach wegen Vergehen und Straftaten mit pädophilem Hintergrund, darunter 2006 eine Haftstrafe wegen des Besitzes von Kinderpornographie, verurteilt wurde. PIE publizierte wie andere Gruppen Informationsblätter und auch ein Magazin. Wie ebenfalls in den anderen Ländern bestanden vor allem Kontakte zur Schwulenbewegung.

          So äußerte sich O’Carroll 1978 und 1979 im Magazin „Gay Left“. Die „Paedophile Action for Liberation“ (PAL), die später mit PIE verschmolz, entwickelte sich in enger Nähe zur „Gay Liberation Front“ in London. Diese radikaleren Schwulenaktivisten stellten die Familie als Basis der Gesellschaft in Frage und wollten das juristisch festgelegte Alter sexueller Selbstbestimmung senken. Presseberichte aus dem Jahr 2009 und im Zusammenhang mit der spektakulären Enthüllung des BBC-Fernsehmoderators Jimmy Saville als Pädophiler im Herbst 2012 nähren die Annahme, dass auch PIE über zumindest zeitweise institutionelle politische Anbindungen verfügte, die auf grundsätzliche Liberalisierungsforderungen zurückgingen.

          Die Labour-nahe Lobbygruppe „National Council for Civil Liberties“ (NCCL), so legen es die Berichte nahe, war zumindest offen für die Anliegen der Pädophilen. 1983 wurde PIE, vermutlich im Zuge polizeilicher Ermittlungen gegen die Gruppe, aus der NCCL ausgeschlossen.

          Von David Bebnowski, Stephan Klecha, Franz Walter u. a. aus dem Göttinger Institut für Demokratieforschung.

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