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OSZE-Versammlung : Österreich will russischen Abgeordneten Einreise erlauben

Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg im Januar in Wien Bild: Reuters

Mit Sanktionen belegte russische Abgeordnete reisen ausgerechnet zum 24. Februar zur Parlamentarischen Versammlung der OSZE in Wien. Die Gastgeber sprechen von „Pflicht“, die Ukrainer von „Propagandashow“.

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          Zu den ersten Maßnahmen der Europäischen Union nach dem militärischen Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar vergangenen Jahres gehörte es, maßgebliche politische Akteure aus dem Land des Aggressors mit Sanktionen zu belegen. Das betrifft auch viele Parlamentarier in Moskau, deren Vermögen im westlichen Ausland eingefroren wurden und die mit Einreisesperren belegt wurden.

          Stephan Löwenstein
          Politischer Korrespondent mit Sitz in Wien.

          Nun aber zeichnet sich ab, dass eine größere Zahl genau dieser Abgeordneten nach Österreich reisen darf, und das ausgerechnet zum Jahrestag der Invasion. Denn am 23. und 24. Februar wird am Sitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in der Wiener Hofburg turnusgemäß die Parlamentarische Versammlung der OSZE abgehalten.

          Das österreichische Außenministerium hat bereits mitgeteilt, dass es den Mitgliedern der russischen Delegation die erforderlichen Visa nicht verweigern werde – anders als es im vergangenen Jahr Großbritannien und Polen bei OSZE-Veranstaltungen in ihren Ländern getan haben. Zur russischen Delegation soll beispielsweise der stellvertretende Duma-Vorsitzende Pjotr Tolstoi gehören, der nach eigenen Worten die Ukraine ins 18. Jahrhundert zurückbomben möchte, oder Leonid Slutsky, der forderte, Kriegsgefangene aus dem Azow-Stahlwerk in Mariupol hinzurichten.

          Eine Sprecherin von Außenminister Alexander Schallenberg teilte der F.A.Z. auf Nachfrage mit, Österreich sei rechtlich dazu verpflichtet, diese Visa auszustellen. Denn anders als London oder Warschau sei Wien Sitz der OSZE. Und im völkerrechtlich verbindlichen Amtssitzabkommen sei festgelegt, dass Österreich den Delegierten aller OSZE-Teilnehmerstaaten die Einreise für Veranstaltungen im Rahmen dieser internationalen Organisation gestatten müsse. „Das ist keine Ermessenssache, sondern Verpflichtung für das Sitzland.“

          Gleichzeitig Ball der rechten FPÖ in Hofburg

          Doch von Seiten einiger EU-Partner gibt es hinter den Kulissen Kritik. So wurde aus den baltischen Staaten der Hinweis gestreut, dass sämtliche Mitglieder der russischen Delegation für den russischen Angriffskrieg und die Annexion ukrainischer Gebiete gestimmt hätten und daher mit EU-Sanktionen belegt seien. Es sei bedauerlich, so heißt es in einem inoffiziellen Schreiben, dass politisch-moralische Argumente und die Berücksichtigung der Glaubwürdigkeit von OSZE und Europäischer Union nicht berücksichtigt würden, wenn Österreich unter Berufung auf das Amtssitzabkommen Visa ausstellen wolle.

          Offene Kritik äußerte der ukrainische Vertreter bei der OSZE, Jewhenij Zymbaljuk. Er sagte der österreichischen Zeitung „Der Standard“, Russland ruiniere die Organisation „seit Jahren“. Es sei zu befürchten, dass die russische Delegation die Versammlung für eine „Propagandashow“ nutzen werde. Von mehreren Seiten wird mahnend darauf hingewiesen, dass gleichzeitig in der Wiener Hofburg ein Ball abgehalten werde, der von der rechten FPÖ als Fest schlagender akademischer Verbindungen ausgerichtet wird. Die FPÖ steht mit einem 2017 abgeschlossenen Freundschaftsabkommen der Partei „Einiges Russland“ nahe, die Präsident Wladimir Putin unterstützt. Auch kritisiert die FPÖ die europäische Sanktionspolitik.

          Dazu heißt es seitens des österreichischen Außenministeriums, die Visa gälten alleine für die OSZE-Versammlung. Eine Teilnahme an einem Ball würde einen schweren Missbrauch darstellen. Man darf davon ausgehen, dass dies auch dem Ständigen Vertreter Russlands bei der OSZE ausgerichtet worden ist. Unklar ist, welche Handlungsmöglichkeiten die österreichischen Behörden hätten, wenn es die Russen darauf ankommen ließen. Im Abkommen zum Sitz der OSZE heißt es laut Außenministerium zudem ausdrücklich, wer „mit dem Amtssitzabkommen unvereinbare Handlungen“ vornehme, werde zum Verlassen des Staatsgebiets aufgefordert.

          Verschiedene Delegationen prüfen Protest-Szenarien

          Die OSZE beruht auf der Entspannungspolitik im Kalten Krieg zwischen der NATO und dem damaligen Warschauer Pakt. Nach dessen Ende wurde der sogenannte Helsinki-Prozess in der Organisation mit Sitz in Wien verfestigt. 57 Staaten „zwischen Vancouver und Wladiwostok“ gehören der OSZE an. Neben der Kritik an Österreich ist aus anderen Teilnehmerstaaten auch die Ansicht zu hören, dass die OSZE als Plattform zwar derzeit angesichts der russischen Aggression nicht relevant sei, dass sich das aber zukünftig auch wieder anders darstellen könnte. In verschiedenen Delegationen wird nun geprüft, ob man der Parlamentarischen Versammlung ganz fernbleibt, wenn die Russen daran teilnehmen, ob man unter Protest teilnimmt oder ob man bei Wortbeiträgen russischer Teilnehmer den Raum verlässt („Walk-Out“).

          Österreichs Außenminister Schallenberg hat unabhängig davon, dass die OSZE ihren Sitz in Wien liegt, schon früher die Ausladung von russischen Teilnehmern an OSZE-Veranstaltungen kritisiert. Als Polen im Dezember dem russischen Außenminister Sergej Lawrow die Einreise, um am OSZE-Gipfel in Lodz teilzunehmen, verweigerte, kommentierte der ÖVP-Politiker: „Also ich bedaure das sehr und halte das eigentlich für ein sicherheitspolitisches Eigentor.“ Zuletzt stieß Schallenberg in Kiew auf Kritik, als er in einem Interview dazu aufrief, gegenüber Russland „Augenmaß“ zu wahren. „Wir dürfen nicht über das Ziel hinausschießen, indem wir zum Beispiel ein Visaverbot für 144 Millionen Russen einführen“, sagte er Mitte Januar in Paris.

          Es gebe keinen Zweifel, wo Österreich stehe, sagte Schallenberg jüngst in der Zeitung „Die Presse“. Wien trage jeden Beschluss gegen Russland in Brüssel mit und trage „intensiv“ zur Geschlossenheit innerhalb der EU bei. Er selbst sei der erste Außenminister der Zweiten Republik, der einen russischen Diplomaten zur Persona non grata erklärt habe, sagte Schallenberg. Dennoch gelte es an den Tag nach dem Krieg zu denken. Deshalb sollte man nicht „mutwillig Dialogplattformen“ wie die OSZE, „die wir dann brauchen werden, zerstören“.

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