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Opposition in Russland : Mutig in der Minderheit

Dezember 2012 in Sankt Petersburg: Eine von der liberalen Jablonko-Partei organisierte Protestaktion gegen ein neues Gesetz, dass Amerikanern die Adoption russischer Kinder verbietet Bild: Picture-Alliance

Eine junge Politikerin und ein erfolgreicher Komponist aus Sankt Petersburg stellen sich gegen die russische Mehrheitsmeinung. Sie leben gefährlich in einem Land, das nur noch Patrioten und Verräter kennt.

          7 Min.

          Einfach und schwierig zugleich ist Politik derzeit in Russland. Einfach, weil man nur für oder gegen den Kurs der Führung sein kann – etwas anderes lässt deren Unterscheidung nach Patrioten und Nichtpatrioten, Antifaschisten und Faschisten, Freunden und Verrätern nicht zu. Schwierig wird es, wenn man zu den rund 15 Prozent der Russen gehört, die nicht hinter Präsident Wladimir Putin stehen. Oder auch nur Fragen aufwirft, die für die Mehrheit unbequem sind. Wie Alexandra Maxjutowa und Ilja Demuzkij, zwei junge Russen aus Sankt Petersburg. Die Nachwuchspolitikerin und der Komponist stehen für ein anderes, ein weltoffenes Russland. Für die Minderheit also. Sogar für eine doppelte: eine Minderheit, die sich nicht einschüchtern lassen will.

          Friedrich Schmidt
          Politischer Korrespondent für Russland und die GUS in Moskau.

          In einer kleinen Straße einige Meter südlich des Flusses Newa, im Erdgeschoss eines düsteren Altbaus, hat die Jugendorganisation der liberalen Oppositionspartei Jabloko ihr Büro. Ein Megafon steht in einer Ecke auf alten Flugblättern. Neue Wahlkampfschriften liegen noch eingepackt im Flur. Darin wird gegen Korruption, Wahlfälschung und die Annexion der Krim, hingegen für eine „europäische Entwicklungsrichtung“ Russlands Stellung bezogen. Am 14. September sind Regionalwahlen in Russland. Auch Alexandra Maxjutowa wollte kandidieren. Sie ist 21 Jahre alt, studiert in ihrer Heimatstadt Sankt Petersburg Politikwissenschaft und führt seit dem vergangenen Jahr die örtliche Jabloko-Jugend. Sie sagt Sätze wie: „Die Nomenklatura hat sich seit sowjetischer Zeit nicht geändert.“ Und: „Die Sehnsucht nach der Sowjetunion ist die Sehnsucht der Alten nach ihrer Jugend, in der sowieso alles besser war.“ Das will sie ändern. Oder zumindest nicht tatenlos zusehen, wie die Jugend um ihre Zukunft gebracht wird.

          Trotz Gängelung kämpft sie unverdrossen weiter

          Zweimal hat Maxjutowa versucht, ihre Kandidatur für die Wahlen anzumelden. Beim ersten Mal standen vor ihr in der Schlange viele Männer in Trainingsanzügen, deren wirklicher Wille zur Teilnahme an den Wahlen augenscheinlich gering, deren Zahl aber groß war: Platzhalter der Macht. Maxjutowa erhielt nur die Nummer 48 in der Warteliste. Das reichte nicht, um vorgelassen zu werden, das Registrierungsbüro hatte nur von 15 bis 18 Uhr auf. Das zweite Mal stellte sie sich schon mitten in der Nacht an, es reichte für Nummer 8, sie konnte ihre Unterlagen einreichen. Kandidieren darf sie trotzdem nicht. Angeblich, weil ein Dokument fehlte. Ein Vorwand, sagt sie. Bei einem ihrer Mitstreiter habe es zu der Ablehnung gar geheißen, er habe mehr Unterschriften zur Befürwortung seiner Kandidatur eingereicht als gefordert. Sechs der gut 30 Mitglieder der Petersburger Jabloko-Jugend hätten kandidieren wollen. Nur ein Mitglied habe es geschafft. „Traurig“, sagt Maxjutowa.

          Verdrossen wirkt die junge Frau mit den langen roten Locken trotzdem nicht. Sie ist stolz darauf, dass sie bei einem runden Tisch Vertreter mehrerer oppositioneller Petersburger Jugendorganisationen zusammengebracht hat. Sie zeigt Zettel für eine Wahlkampfaktion: „Die Krim ist nicht meine“, steht auf einem – eine Abwandlung des patriotischen Slogans „Die Krim ist unser“. „Ich lese grani.ru“, steht auf einem anderen – das ist ein seit dem Frühjahr nur über Umwege erreichbares Nachrichtenportal der Opposition. Sie erzählt heiter von dem Preis, den die Parteijugend jedes Jahr vergibt: die „Goldene Bürste“ für die „sinnloseste Verschwendung“ öffentlichen Geldes in Sankt Petersburg. Zuletzt erhielt sie der Gouverneur für ein Bankett, das mehr als 600.000 Euro kostete.

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