Scholz in Chile : Schreckliche Erinnerungen
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Die Opfer der Pinochet-Diktatur: Scholz besichtigt mit dem chilenischen Präsidenten das Museum für Erinnerung und Menschenrechte. Bild: dpa
Schon als junger Sozialist interessierte sich Bundeskanzler Scholz für Chile. Jetzt hat er das Land als Bundeskanzler wieder besucht. Dabei ging es auch um eine deutsche Sektensiedlung.
Mit einer Gedenkstätten wollen Chile und Deutschland an die Opfer der deutschen Sektensiedlung Colonia Dignidad („Kolonie der Würde“) erinnern. Dafür sprachen sich der chilenische Präsident Gabriel Boric und Bundeskanzler Olaf Scholz am Sonntagabend in Santiago de Chile aus. „Die Geschichte der Colonia Dignidad ist schrecklich“, äußerte Boric. Der chilenische Staat kämpfe „unermüdlich für die ganze Wahrheit und Gerechtigkeit“. Scholz sagte zu der Idee, auf dem Gelände der Sekte eine Gedenkstätte zu errichten, man werde die chilenische Regierung als Bundesregierung „sehr unterstützen“, „und wir werden uns entsprechend beteiligen“. Er hob hervor, dass man einen Beitrag „als Partner“ leisten wolle. „Wir wissen wie sensibel das ganze Thema ist, es gibt verschiedene Opfergruppen“, fügte er an.
Die Siedlung war im Jahr 1961 vom Deutschen Paul Schäfer gegründet worden. Sexueller Missbrauch, Zwangsarbeit und Ausbeutung prägten den dortigen Alltag. In den Jahren der Pinochet-Diktatur von 1973 bis 1990 wurden in die etwa 400 Kilometer südlich von der Hauptstadt gelegenen Siedlung auch Regimegegner verschleppt und gefoltert. Schäfer floh 1997 nach Argentinien, 2005 wurde er verhaftet und nach Chile ausgeliefert, wo er bis zu seinem Tod im Gefängnis saß.
Scholz: Es gibt keine Diktatur, die keine Opfer hat
Der damalige Außenminister und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier äußerte sich 2016 kritisch zu der Rolle der deutschen Diplomaten in Chile: Sie hätten von den sechziger bis in die achtziger Jahren hinein „bestenfalls weggeschaut“, jedenfalls zu wenig getan „für den Schutz ihrer Landsleute“ in der Kolonie. Das Auswärtige Amt und die Botschaft hätten „die Orientierung verloren“ bei der Abwägung zwischen guten Beziehungen zum Gastland Chile und der Wahrung von Menschenrechten. 2017 dann beschloss der Bundestag ohne Gegenstimme, dass die Verbrechen aufgearbeitet werden müssten. Fachleute einer bilateralen Kommission legten daraufhin 2021 ein Konzept für eine Gedenkstätte am Ort der ehemaligen Kolonie, die sich seit 1988 Villa Bavaria nennt, vor.
Chile ist nach Argentinien die zweite Station der ersten Lateinamerika-Reise von Scholz als Bundeskanzler. Gleich nach der Landung in Santiago de Chile besuchte er mit Präsident Boric das Museum der Erinnerung und Menschenrechte. Es erinnert an die Opfer in den Jahren der Pinochet-Diktatur. Der Besuch habe ihn sehr beeindruckt, sagte Scholz danach. „Er hat bei mir wieder Bilder von den Zeiten in Erinnerung gerufen, die ich auch als junger Mann in Deutschland habe verfolgen können, und von der Bedrückung, die die Diktatur auch bei mir und vielen anderen in unserem Land hinterlassen hat.“ Deshalb sei es so wichtig, „dass wir die Freiheit, wenn wir sie einmal wieder errungen haben, verteidigen, dass wir wissen, dass sie nicht selbstverständlich ist, sondern unser tägliches Engagement verlangt, damit wir sicher leben können“. Er fügte an: „Es gibt keine Diktatur, die keine Opfer hat, sondern es gibt nur Diktaturen mit vielen Opfern.“ Damit die Welt ein friedlicher Ort sei, müsse sie auch ein freier Ort sein, „und wir sind deshalb als Demokratien so sehr verbunden“. Scholz war es selbst als junger Sozialist in den achtziger Jahren gelungen, Chile zu besuchen.
Boric ist seit 2022 im Amt, er war mit 36 Jahren der jüngste Präsident des Landes, das von 2019 an große Sozialproteste erlebte, geschürt durch die große Ungleichheiten im Land. Die politische Lage ist weiter fragil und die Armut ein großes Problem. Reich ist das Land allerdings an begehrten Rohstoffen wie Kupfer und Lithium. Absichtserklärungen wurden nun unterzeichnet, mit denen die Zusammenarbeit in den Bereichen der Forschung, Innovation und Bergbau vertieft werden soll. Am Montagmittag flog Scholz weiter zu der letzten Station der Reise: Brasilia, der Hauptstadt Brasiliens.