Nordsyrien : Amerikanische Truppen ziehen in den Irak ab
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Ein amerikanisches Fahrzeug verlässt am Sonntag die Stadt Tal Tamr, beobachtet von kurdischen Milizionären. Bild: AFP
Kurden und Amerikaner weichen dem Vormarsch der türkischen Armee. Außenminister Maas nennt den Angriff Ankaras völkerrechtswidrig.
Die Vereinigten Staaten haben mit der Verlegung ihrer Streitkräfte aus Syrien in den Irak begonnen. Ein Konvoi habe die Grenze zwischen beiden Ländern überquert, berichteten Journalisten der Nachrichtenagentur AFP. Die Fahrzeuge fuhren demnach am Grenzübergang Fischchabur unweit der türkischen Grenze über den Tigris in die Kurdengebiete im Nordirak.
Der amerikanische Sender CNN berichtete unter Berufung auf einen amerikanischen Offiziellen, es habe sich um fast 500 Soldaten sowie Hunderte Fahrzeuge und damit um die bisher größte Truppenverlegung aus Syrien heraus gehandelt.
Ein Video der kurdischen Nachrichtenseite Hawar News zeigte, wie Menschen in der nordsyrischen Stadt Kamischli gepanzerte Fahrzeuge der amerikanischen Armee mit Kartoffeln bewerfen und die Soldaten beschimpfen.
Mit dem Abzug aus Syrien hatten die Vereinigten Staaten den Weg für die türkische Offensive gegen die Kurdenmiliz YPG geebnet, die von Ankara als Terrororganisation angesehen wird. Die Türkei wurde dabei weder von der syrischen Regierung um Hilfe gebeten noch erteilte der UN-Sicherheitsrat ein entsprechendes Mandat. Ankara begründet den Einmarsch mit dem Recht auf Selbstverteidigung.
Amerikas Verteidigungsminister Mark Esper hatte am Wochenende erklärt, der Abzug der amerikanischen Truppen aus Syrien werde „Wochen, nicht Tage“ dauern. Er solle „sehr überlegt und sehr sicher“ verlaufen. Die Soldaten sollen sich demnach vom Irak aus weiter am Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ beteiligen. Präsident Donald Trump hatte vor zwei Wochen angekündigt, die tausend im Norden und Osten Syriens stationierten Soldaten abzuziehen. Im Irak sind derzeit über 5000 amerikanische Soldaten stationiert.
Kurdische Einheiten zogen sich unterdessen vollständig aus der nordsyrischen Grenzstadt Ras al Ain zurück. Die kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) hatten am Sonntag den Abzug ihrer Kämpfer vermeldet, die Türkei bestätigte die Angaben.
Ras al Ain wurde zuletzt von türkischen Militäreinheiten und syrischen Hilfstruppen belagert. Der Abzug der SDF, die von der YPG dominiert wird, war Bestandteil der am Donnerstag zwischen den Vereinigten Staaten und der Türkei ausgehandelten Vereinbarung für eine fünftägige Waffenruhe in Nordsyrien.
Die Kampfpause soll den YPG-Kämpfern den Abzug aus einer geplanten „Sicherheitszone“ an der türkischen Grenze erlauben. Allerdings herrscht keine Einigkeit über das genaue Ausmaß dieser Pufferzone.
Die SDF hatten die türkische Regierung am Samstag beschuldigt, die vereinbarte Waffenruhe nicht einzuhalten und den Abzug ihrer Kämpfer aus Ras al Ain zu blockieren. Die Türkei wies dies zurück und warf der YPG-Miliz ihrerseits zahlreiche Angriffe vor. Am Sonntag wurde nach Angaben Ankaras ein türkischer Soldat bei einer „Aufklärungs- und Überwachungsmission“ in der Region um Tal Abjad getötet.
Laut einem Bericht der „Welt am Sonntag“ richtete die Nato wegen der türkischen Offensive einen Krisenstab ein. Die Task Force solle sich mit dem türkischen Militäreinsatz und seinen möglichen Folgen beschäftigen.
Die Türkei habe sich bei einer Sitzung der 29 Nato-Botschafter bereit erklärt, die Nato-Partner laufend über Angriffe, Flüchtlingsbewegungen und Schäden in dem Kampfgebiet zu unterrichten, hieß es in dem Bericht. Außerdem habe Ankara klar gemacht, dass die Angriffe im Norden Syriens bis in die erste November-Hälfte hinein fortgeführt werden sollten.
Nach Informationen der „Welt am Sonntag“ machten in der Sitzung des Nordatlantikrates vor allem Deutschland, Frankreich, Albanien, Island, Belgien und Luxemburg klar, dass Ankara von ihnen „keine Unterstützung“ im Zusammenhang mit der Offensive in Nordsyrien erwarten könne. Daher könne die Türkei auch im Fall eines Gegenangriffs aus Syrien auf türkisches Gebiet und einer Anfrage an die Nato nicht mit Beistand nach Artikel 5 rechnen.
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) hat den türkischen Militäreinsatz gegen Kurden in Syrien am Sonntag als Verstoß gegen das Völkerrecht bezeichnet. „Wir glauben nicht, dass ein Angriff auf kurdische Einheiten oder kurdische Milizen völkerrechtlich legitimiert ist oder auch legitimierbar ist“, sagte Maas in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“. „Wir werden alles daran setzen, dass diese Waffenruhe nicht nur fünf Tage hält, sondern dass sie länger andauert und damit die Invasion zunächst einmal gestoppt wird.“
Auch der wissenschaftlichen Dienst des Bundestags kommt nach dpa-Informationen zu dem Schluss, dass der Einmarsch, bei dem nach UN-Angaben innerhalb einer Woche bereits 165.000 Menschen vertrieben wurden, im Widerspruch zum Völkerrecht steht.