Nordkorea : Der Stellvertreter an der Staatsspitze
- -Aktualisiert am
Zweiter Mann hinter Kim Jong-un (r.): Choe Ryong-hae (l.), das Foto stammt aus 2017. Bild: AFP
Der mächtige Choe Ryong-hae rückt an die Staatsspitze Nordkoreas. Was bezweckt Kim Jong-un mit diesem Zug?
Anfang März 2019: Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un fährt mit seinem Zug in den Bahnhof Pjöngjang ein, nachdem er sich mit dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi getroffen hatte. So farbenfroh wie an diesem Tag ist der düstere Bahnhof selten: Eine Reihe jubelnder Nordkoreaner steht Spalier, ein Kind überreicht dem zurückgekehrten Helden, wie die Staatspropaganda nicht müde wird zu betonen, einen Blumenstrauß. Dann geht Kim weiter zur ersten Garde seines Staatsapparates, zumindest zu jenen Politkern, die in Pjöngjang geblieben waren: An der Spitze steht Kim Yong-nam, das protokollarische Staatsoberhaupt Nordkoreas – er darf Kim Jong-un als erster die Hand schütteln und gratulieren. Ein nahezu herzlicher Moment – und eine seiner letzten Amtshandlungen in den Augen der Weltöffentlichkeit. Denn Kim Yong-nam wird nun ersetzt.
In Nordkorea ist die politische Macht in der Außendarstellung fast ausschließlich auf Kim Jong-un zugeschnitten. Aber Kim Yong-nam dürfte der zweitbekannteste Politiker sein. Der 91 Jahre alte Außenpolitiker war schon unter Staatsgründer Kim Il-sung und dessen Sohn Kim Jong-il von 1983 bis 1998 Außenminister gewesen – ein freundliches Aushängeschild im Ausland. Doch nun ist es vorbei mit seiner jahrzehntelangen Führungsrolle: Bei der konstituierenden Sitzung des Parlaments, der Obersten Volksversammlung, wählten die Abgeordneten Cho Ryong-hae in dieser Woche zum Staatsoberhaupt.
Er überstand alle „Säuberungswellen“
Für die Ablösung mag es mehrere Gründe geben: Zum einen ist Kim Yong-nam mit 91 Jahren so alt, dass sich Beobachter ohnehin schon seit Jahren fragen, wie lange er die Strapazen des Amtes noch auf sich nehmen kann. Als Parlamentspräsident empfing er nicht nur die ausländischen Delegationen, die das isolierte Land bereisen, sondern führte bis zuletzt nordkoreanische Delegationen im Ausland an, am häufigsten nach Peking und Moskau. Zum anderen gilt der betagte Außenpolitiker innerhalb der Pjöngjanger Machtarithmetik als Mann von gestern: zwar loyal, aber eben auch ein früherer Mitarbeiter der beiden ersten Diktatoren Kim Il-sung und Kim Jong-il. Er ist kein Gefolgsmann Kim Jong-uns.
Dass er so lange im Amt war, ist schon bemerkenswert genug. Im Gegensatz zu anderen ranghohen Mitarbeitern Kim Jong-uns, wie Jang Song-thaek, der 2013 hingerichtet wurde, überstand Kim Yong-nam sämtliche „Säuberungswellen“, die der junge Diktator nach seinem Amtsantritt im Dezember 2011 anordnete. Offenbar, so heißt es immer wieder, war Kim Yong-nam dem jungen Machthaber zwar nützlich, aber kaum gefährlich geworden. Im Gegenteil: Kim Yong-nam gilt eher als entscheidungsschwach. Das machtlose Amt des protokollarischen Staatschefs passte insofern zu ihm. In kommunistischen Regimes hält nicht das formale Staatsoberhaupt die Macht in der Hand, sondern die Spitze der allmächtigen Staatspartei – in Nordkorea ist das Kim Jong-un.
Interessant ist aber dennoch, wer nun der Nachfolger an der Spitze des Parlaments wird: Denn Choe Ryong-hae, das neue Staatsoberhaupt Nordkoreas, ist in Pjöngjang ein politisches Schwergewicht. Südkoreanische Medien beschrieben ihn mehrmals als Nummer zwei hinter dem allmächtigen Diktator, in der mächtigen Lenkungskommission für staatliche Angelegenheiten ist er der Stellvertreter Kim Jong-uns. Das neue Gesicht des Regimes wird also ein Mann sein, der innenpolitisch die Zügel in der Hand hält. Die Wahl, die das Scheinparlament ja ohnehin nur absegnet, ist natürlich von Kim Jong-un selbst getroffen worden: Insofern kann sie als weiterer Schritt in der nurmehr fast achtjährigen Machtkonsolidierung Kims interpretiert werden. Er holt sich „seine Leute“ in die engeren Machtzirkel, seine Schwester und enge Mitarbeiterin Kim Yo-jong erhielt bei der Wahl im März einen Sitz in der Obersten Volksversammlung.
Ob sich Choe allerdings als Aushängeschild im Ausland, als freundliches Gesicht des Regimes präsentieren kann, ist fraglich: Er steht auf der Sanktionsliste der Vereinigten Staaten. Deren Finanzminister Steve Mnuchin warf ihm vor, „für brutale staatliche Zensur, Menschenrechtsverletzungen und Missbrauch“ verantwortlich zu sein.
Der Generationswechsel in der Führung ist damit aber vollzogen: Choe wurde 1950 geboren, also zu Zeiten, als die koreanische Halbinsel bereits in zwei Staaten getrennt war. Kim Yong-nam wuchs noch im japanisch besetzten Korea auf und verbrachte seine Kindheit als Untertan des japanischen Tennos. In seinen Reden war eine mögliche Wiedervereinigung der beiden Koreas immer wieder ein zentrales Thema – ob das beim Machtpolitiker Choe Ryong-hae ebenfalls der Fall sein wird, bleibt abzuwarten.