
Nordkorea : Ein unbestelltes Haus
- -Aktualisiert am
Zwischen ihnen hat die Erbfolge funktioniert: Von Kim il-sung (links) auf Kim Jong-il Bild: REUTERS
Auch unter neuer Führung ist Nordkoreas Atompolitik eine globale Herausforderung. Denn der neue Machthaber Kim Jong-un ist längst nicht gefestigt - die wahren Machthaber stehen hinter ihm.
Kim Jong-il ist im Alter von 69 oder 70 Jahren gestorben. Die Medien des diktatorisch regierten Landes rufen seinen jungen Sohn Kim Jong-un zum Nachfolger aus. Das ist keine Überraschung. Die Meldung soll suggerieren, alles sei geklärt in Nordkorea. Die Wahrheit ist eine ganz andere. Zwar hat die Erbfolge an der Spitze des kommunistischen Staates einmal funktioniert. Als Kim Il-sung 1994 starb, stand sein Sohn Kim Jong-il als Nachfolger bereit. Er war viele Jahre vorher designiert worden und hatte Gelegenheit, vor dem Einritt des „Ernstfalls“ seine Macht zu festigen.
Derlei trifft auf Kim Jong-un nicht zu. Er ist noch nicht einmal 30 Jahre alt und kann schon deshalb keine besonderen Lebensleistungen vorweisen. Da er zudem erst im vergangenen Jahr Partei und Öffentlichkeit als Nachfolger vorgestellt wurde, hatte er seitdem kaum Zeit, eigene „Seilschaften“ zu bilden. In einem System wie dem nordkoreanischen kommt es jedoch gerade darauf entscheidend an. Zwar hat es in den vergangenen Monaten personelle Änderungen auf vielen Ebenen gegeben. Aber als gefestigt kann der Nachfolger nicht gelten.
Die wahren Machthaber werden hinter ihm stehen
Es ist also damit zu rechnen, dass Kim Jong-un bis auf weiteres auf allen Bildern im Vordergrund zu sehen sein wird. Irgendwo hinter ihm werden jedoch die wahren Machthaber stehen. Deren Weltsicht wird darüber entscheiden, ob die Tage der Selbstisolierung für Nordkorea allmählich zu Ende gehen. Machtkämpfe in der Führung sind nicht auszuschließen. Diese können blutig werden. Daher muss sich die Außenwelt auf (scheinbar) irrationale Aktionen einstellen. Dazu passen Berichte über einen Raketentest kurz nach dem Tod Kim Jong-ils.
Das Regime könnte zum Opfer seiner eigenen Kriegsrhetorik werden. Wer sich unter all den angeblichen Dogmatikern durchsetzen will, muss „hart“ auftreten. Nicht umsonst wurde der Beschuss einer südkoreanischen Insel im November vergangenen Jahres dem Neuling Kim Jong-un zugeschrieben, der sich auf diese Weise dem machtvollen Militär habe empfehlen wollen. Man weiß also nie, was noch kommt.
Südkorea hat deshalb richtig gehandelt, als es seine Streitkräfte in Alarmbereitschaft versetzte. Aber auch innenpolitisch könnte die Neuordnung im Norden den Süden in Unordnung bringen. Im kommenden Jahr wird ein neuer Präsident gewählt. Und auch die Parlamentswahl ist nicht mehr fern. Bisher sah es so aus, als stehe das konservative Lager um Präsident Lee Myung-bak in der Defensive. Das könnte sich schnell ändern, wenn Nordkorea im Süden wieder von einer breiten Öffentlichkeit als Bedrohung angesehen wird.
Nach Kim Jong-ils Tod : Sorge um Nordkoreas Stabilität
Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass die Parteien in Südkorea angesichts der Ausnahmesituation zu einer gemeinsamen Linie finden. Dafür ist zwischen ihnen das Misstrauen, teilweise sogar die Feindschaft viel zu stark. Die Opposition verdächtigt die Konservativen stets, diese benutzten die Bedrohung aus dem Norden als Vorwand, um ihre Herrschaft zu legitimieren. Umgekehrt gelten die „Linken“ bei vielen Konservativen als verkappte Kommunisten, die gegenüber dem aggressiven Norden viel zu weich auftreten.
Eine besondere Herausforderung ist das nordkoreanische Atomprogramm. Mit Ausnahme Nordkoreas sagen alle Teilnehmer der Sechsergespräche, sie wollten eine atomwaffenfreie koreanische Halbinsel. Denkbar ist aber auch eine Konstellation, in der es im Norden zu einem Regimewechsel mit nachfolgender Vereinigung Koreas kommt, bevor die Atomwaffen beseitigt worden sind. Südkorea würde dabei quasi im Erbgang zur Atommacht, zumindest für eine Übergangszeit. Es wäre interessant festzustellen, ob dies für Seoul mehr ein Schrecken oder nicht vielleicht eine Versuchung darstellte.
Spätestens beim Thema Atomwaffen kommen die Großmächte ins Spiel. China wird seit langem großer Einfluss auf Nordkorea zugeschrieben. Jahrelang hat Peking dem Vernehmen nach versucht, Kim Jong-il zu einer Öffnungspolitik nach chinesischem Vorbild zu überreden. Diese Bemühungen hatten keinen Erfolg. Man darf annehmen, dass China auch unter den neuen Verhältnissen in Pjöngjang seinen Einfluss geltend machen wird. Entscheidend wird sein, wie weit es dabei geht. Nordkorea ist zwar auf Chinas Unterstützung angewiesen. Aber eine nationale Demütigung durch neokolonialistisches Auftreten des „Beschützers“ wird sich Pjöngjang nicht gefallen lassen.
Wettlauf nach Pjöngjang
Die Vereinigten Staaten verfolgen aufmerksam, was sich in Korea tut. Sie sind der wichtigste Verbündete Südkoreas. Wenn der Norden politisch ins Rutschen gerät, muss das Washington interessieren. An einer fortgesetzten Isolierung Nordkoreas kann Amerika nicht gelegen sein, denn dadurch wächst fast zwangsläufig der Einfluss Chinas auf der koreanischen Halbinsel.
Und da die Regierung Obama außen- und sicherheitspolitische Ambitionen Chinas seit einiger Zeit mit wachsendem Misstrauen verfolgt, ist zu erwarten, dass es zwischen Washington und Peking zu einem „Wettlauf“ nach Pjöngjang kommt. Wenn sich die beiden großen Mächte dabei nicht wie Rivalen, sondern wie globale Akteure verhalten, kann daraus sogar ein Beitrag zur Stabilisierung der Krisenregion Nordostasien werden.