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Nordirland : „Die IRA ist entwaffnet“

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Waffen - nur noch als Gemälde

Waffen - nur noch als Gemälde Bild: AP

Eine unabhängige internationale Kommission erklärt die nordirische Terrorgruppe für entwaffnet. „Wir glauben, die IRA hat alle ihre Waffen unbrauchbar gemacht“. Der britische Premier Blair sieht darin eine „wichtige Entwicklung, auf die wir lange gewartet haben“.

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          Die „Irisch-Republikanische Armee“ (IRA) hat ihre Entwaffnung vollendet. Die IRA-Führung bestätigte am Montag, daß der Prozeß der nachprüfbaren Entwaffnung abgeschlossen sei. Zuvor hatte der Leiter der internationalen Entwaffnungskommission, der kanadische General John de Chastelain, die Entwaffnung verkündet.

          Dieser Schritt, den die IRA Ende Juli angekündigt hatte, ist der Abschluß einer Entwicklung, die mit der „Waffenstillstandserklärung“ 1994 begonnen hatte. Er soll den Weg öffnen zu einer Wiedereinsetzung des nordirischen Parlaments und der Provinzregierung.

          „Für immer außer Gebrauch gesetzt“

          Wegen des langwierigen Streits um die Friedensbereitschaft der IRA sind sie seit Oktober 2002 zum dritten Mal suspendiert. Der Chef der republikanischen Partei Sinn Fein, Adams, hatte zuvor auf einer Veranstaltung in Dublin zur Entwaffnung gesagt: „Einige Republikaner werden es schwer haben damit. Aber wir müssen die Zukunft in positivem Sinn angehen. Laßt uns vereint bleiben!“

          Nordirland : Die IRA streckt die Waffen

          Der britische Premierminister Tony Blair sprach in einer ersten Reaktion von einer „wichtigen Entwicklung“ für den Friedensprozeß in Nordirland. „Darauf haben wir lange gewartet. De Chastelain sagte, seine Kommission sei in den letzten Wochen Zeuge gewesen, wie „eine große Menge“ von Waffen auf Dauer unbrauchbar gemacht wurden. „Wir glauben, das umfaßt alle Waffen im Besitz der IRA.“ Die jetzt angefertigten Listen deckten sich mit allen bekannten Schätzungen. Der General zählte auf: „Munition, Gewehre, Maschinengewehre, Mörser, Raketen, Handgranaten, Sprengsätze, Explosivstoffe und anderes“. Jetzt sei es an den paramilitärischen Gruppen auf der protestantischen Seite, gleichzuziehen. Er rufe die politischen Parteien auf, dazu beizutragen.

          Namens der zwei geistlichen Zeugen bekräftigte Harold Good, der frühere Präsident der methodistischen Kirchengemeinschaft Nordirlands, feierlich: „Es steht außer jedem Zweifel, daß die Waffen der IRA nun für immer außer Gebrauch gesetzt worden sind!“ Damit wandte er sich vor allem an „die Zweifler“, also an die protestantische Öffentlichkeit. Der andere Geistliche war der katholische Redemptoristenpater Reid.

          Waffenverstecke im Süden

          De Chastelain ist der Vorsitzende der unabhängigen internationalen Kommission, die London und Dublin im August 1997 eingesetzt hatten, um die Entwaffnung der Untergrundarmeen zu überwachen. Er hat seinen Abschlußbericht in Belfast zuerst Vertretern der britischen und irischen Regierung übergeben und dann eine Pressekonferenz gehalten. Zur Kommission gehören zwei weitere Ausländer.

          Bei dieser Runde der Inspektionen, die seit Anfang September zu verschiedenen Waffenverstecken meist im Süden der Insel geführt hatte, wurden die drei Amtspersonen zusätzlich begleitet von den beiden Geistlichen. Das sollte dem Mißtrauen der Unionisten entgegenkommen, an dem die Entwaffnungspolitik schon zweimal gescheitert war.

          Kompromißidee: Begleitung durch Priester

          Bei der vorigen Entwaffnungsrunde im Oktober 2003 hatte de Chastelain auf Anweisung der IRA nur allgemein bestätigen dürfen, daß er einer „Außerdienststellung von Waffen“ beigewohnt habe; Fragen durfte er nicht beantworten. Deshalb haben die Unionisten damals die Rückkehr zur politischen Zusammenarbeit mit Sinn Fein verweigert. Im Dezember 2004 verlangten sie zusätzlich, die abschließende Entwaffnung müsse fotografiert oder gefilmt werden, und die Bilder müßten veröffentlicht werden.

          Der Ton war schärfer geworden, weil inzwischen die radikaleren „Demokratischen Unionisten“ unter Pfarrer Paisley bei Wahlen die Mehrheit im protestantischen Lager gewonnen hatten auf Kosten der gemäßigteren „Ulster Unionisten“ unter David Trimble. Die IRA lehnte Fotos ab; das sei zu demütigend. Die Entsendung der zwei Priester war eine Kompromißidee, die Paisleys Anhang bis zuletzt nicht gefallen hat.

          Der Grimm des Hinterlandes

          Wie alle früheren Schritte der Nordirlandpolitik seit Abschluß des Karfreitags-Abkommens 1998 ist auch diese Entwaffnung Teil einer abgesprochenen Choreographie. Am vergangenen Freitag hatte der irische Regierungschef Ahern in Dublin öffentlich mit einer Abordnung der Sinn-Fein-Führung gesprochen. Diskretere Gespräche mit der britischen Regierung hatte es schon früher gegeben. Nur die „Demokratischen Unionisten“ halten sich aus diesen Absprachen zunächst heraus.

          Der wachsende Grimm ihres Hinterlands ist erst kürzlich wieder deutlich geworden, als militante Protestanten in Belfast Straßenschlachten gegen die Polizei entfachten. Die Protestanten glauben, mit den fortschreitenden Bemühungen um einen politischen Ausgleich gebe die britische Obrigkeit nachträglich doch nur den IRA-Terroristen recht. Die Erregung wurde noch hitziger, nachdem die IRA Ende 2004 einen Bankraub in Belfast verübt hatte, der über 20 Millionen Pfund einbrachte und offiziell bis heute nicht aufgeklärt werden konnte.

          „Vertrauensbildenden Maßnahmen“

          Die öffentlichen Gesten konnten tatsächlich einseitig aussehen; dafür ist allerdings auch der Nachholbedarf der Minderheit an Gleichberechtigung größer. Der „Friedenserklärung“ der IRA im Juli war die Entlassung eines IRA-Terroristen vorausgegangen, und kurz danach wurden Wachttürme der Armee in einem kritischen Grenzgebiet zur Republik abgebaut. Beides hatte die Unionisten verbittert.

          Deshalb sollen die nächsten „vertrauensbildenden Maßnahmen“ auch ihnen zugute kommen. Nordirlandminister Hain will auf dem Labourparteitag in Brighton am Mittwoch Steuererleichterungen für den protestantischen Oranier-Orden verkünden, ferner finanzielle Unterstützung für kulturelle Einrichtungen der Protestanten und die Einsetzung einer Kommission, die sich mit den Opfern des IRA-Terrors beschäftigen soll.

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